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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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davonzulaufen.«
    »Glauben Sie, sie ist missbraucht worden?« Er gab mir keine Antwort, und ich kam mir taktlos vor, weil ich diese Frage gestellt hatte.
    »Sie war einsam«, sagte er abrupt. »Eine einsame, lebenshungrige, verängstigte, zornige junge Frau. Jemand wie Sie würde vielleicht sagen, dass sie auf der Suche nach Liebe war. Reicht Ihnen das?«
    »Sie wollen mir nicht helfen?«, entgegnete ich.
    Er beugte sich vor. Seine Miene wirkte hart. »Mein Versuch zu helfen ist doch bereits gescheitert«, sagte er.
    »Mal wieder.«
    »Ich –«
    »Ich muss jetzt weg. Ich habe einen Termin.«
    »Darf ich Sie zur U-Bahn begleiten?«
    »Ich fahre mit dem Auto.«
    »Dann könnten Sie mich unterwegs an irgendeiner Haltestelle absetzen. Ich habe nur noch zwei, drei Fragen.

    In welche Richtung fahren Sie?«
    »Blackfriars Bridge.«
    »Direkt an meiner Haustür vorbei«, erklärte ich. Dass mein Auto bei der Welbeck-Klinik parkte, brauchte er ja nicht zu wissen.
    Pavic seufzte demonstrativ. »Na schön.«
    Wir traten gemeinsam in die Diele hinaus. Ein auffallend hübsches Mädchen mit langem blondem Haar stürmte herein.
    » Ich versuch’s doch, verdammt noch mal! « , schrie sie uns entgegen, ehe sie schluchzend die Treppe hinaufrannte.

    »War sie auf Drogen?«, fragte ich, als ich schließlich auf dem Beifahrersitz von Will Pavics rostendem Fiat saß und wir uns durch den Verkehr schlängelten.
    »Sonst noch Fragen?«
    »Ich war bloß neugierig.«
    »Sagen Sie mir, wo ich Sie rauslassen soll.«
    »Noch nicht. Warum sind Sie so wütend?«
    »Scheint mir eine verständliche Reaktion zu sein.«
    »Worauf?«
    »Auf alles. Diese ganze Scheiße.« Einen Moment lang ließ er das Lenkrad los. Seine Geste schloss alles mit ein: den Verkehr, unser Gespräch, mich an seiner Seite, wo er doch viel lieber allein gewesen wäre, Liannes Tod, das Leben im Allgemeinen.
    Den Rest der Strecke fuhren wir mehr oder weniger schweigend, ich sagte ihm nur noch, wo er abbiegen musste. Er hielt direkt vor meiner Haustür, und ich stieg aus.

    »Kit! Hey, Kit – Kit!«
    Mir rutschte das Herz in die Hose.
    »Hallo, Julie.«
    »Was für ein Glück, dass du gerade kommst! Ich habe meinen Schlüssel vergessen.« Sie beugte sich vor und lächelte durch die offene Tür zu Pavic hinein.
    »Das ist Will Pavic«, murmelte ich. »Julie Wiseman.«
    Sie lehnte sich so weit in den Wagen hinein, dass ihr der Rock fast bis zum Po hochrutschte und ihre Brüste sich durch ihr dünnes T-Shirt drückten. »Hallo, Will Pavic.
    Kommen Sie noch mit rein?«
    »Er hat mich nur mitgenommen. Er ist unterwegs zu einer Besprechung.«
    Julie ignorierte mich. »Tee? Kaffee?«
    »Nein, vielen Dank.« Seine Stimme klang erstaunlich höflich. Dann lag es also bloß an mir. »Danke fürs Mitnehmen«, sagte ich und kehrte den beiden den Rücken.
    Ich ließ die Tür für Julie offen und ging nach oben, obwohl ich in ein paar Minuten wieder aufbrechen musste, zurück zur Klinik und zu meinem Wagen. Wenigstens hatte ich nun Zeit für ein kühles Getränk. Ich drehte den Wasserhahn auf, hielt meine Finger darunter. Julie kam die Treppe heraufgestapft.
    »Wahnsinn! Er ist umwerfend !«
    »Findest du?«
    »O ja, definitiv mein Typ. Grimmig, wettergegerbt, stark, still. Ich habe ihn zum Abendessen eingeladen.«
    Ich fuhr herum. »Du hast was ?«
    »Ich habe ihn zum Abendessen eingeladen.« Sie lächelte triumphierend. Während ich vor Schreck unzusammenhängendes Zeug stammelte, kickte sie grinsend ihre Sandalen in die Ecke.

    »Es bringt nichts, Däumchen zu drehen und zu warten.
    Ich bin nicht wie du, Kit. Hast du gewusst, dass man die Menschheit in Pflanzenfresser und Fleischfresser aufteilen kann?«
    »Ich –«
    »Du bist ein Pflanzenfresser, ich ein Fleischfresser. Und er ist auch ein Fleischfresser.«
    »Kommt er?«, würgte ich heraus.
    »Morgen. Acht Uhr. Ihm ist auf die Schnelle keine passende Ausrede eingefallen.«
    »Morgen Abend hab ich schon was vor.«
    »Du hast abends nie was vor«, wischte sie meinen Einwand beiseite. »Morgen kannst du jedenfalls nicht weg. Ich hab gesagt, wir hätten ein paar Freunde zum Essen eingeladen, und ihn gefragt, ob er nicht auch Zeit und Lust habe. Also, wen wirst du einladen?«
    »Julie …«
    »Und was soll ich kochen?«
    »Hör zu …«
    »Und, noch wichtiger, was soll ich anziehen? Leihst du mir dein rotes Kleid?«

    12. KAPITEL
    Nachdem ich mit meinem Wagen nach Hause zurückgekehrt war, setzte ich mich mit ein paar Akten ins

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