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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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nicht, dass es in dem Wald Panther –«
    »Panther«, wiederholte Megan in bestimmtem Ton.
    »Also gut, Panther. Plötzlich sah Megan ein Licht durch die Bäume schimmern.«
    »Und was habe ich –«

    »Amy sah es im selben Moment. Sie gingen darauf zu.
    Als sie es erreichten, stellten sie fest, dass es von einer Öllampe stammte, die über einer hölzernen Rundbogentür hing. Die Tür gehörte zu einem großen, halb verfallenen Haus. Es war Furcht erregend, ein unheimlicher Ort, aber inzwischen waren die Mädchen so müde und ausgefroren, dass sie beschlossen, das Wagnis einzugehen. Als sie an die Tür klopften, hörten sie das Geräusch drinnen wie einen Trommelschlag widerhallen.« Ich legte eine Pause ein. Inzwischen saßen die Mädchen mucksmäuschenstill und mit offenem Mund da. »Aber niemand kam, und immer mehr große schwarze Vögel flatterten kreischend um sie herum, bis eine ganze Wolke von ihnen den Himmel verdunkelte. Schwarze Vögel, zuckende Blitze, Donnergetöse und dazu noch die Äste der Bäume, die sich gespenstisch im Wind wiegten. Schließlich drückte Megan fest gegen die Tür, bis sie quietschend aufschwang. Amy nahm die Öllampe vom Eingang, und zusammen betraten sie das halb verfallene Haus. Sie hielten sich an den Händen und spähten in jeden Winkel. Sie befanden sich in einem Gang, an dessen Wänden Wasser herunterlief. Sie folgten dem Gang, bis sie in einen Raum gelangten. Er war ganz blau gestrichen, sogar die hohe Zimmerdecke, und in der Mitte blubberte ein kalter blauer Brunnen. Sie konnten das Geräusch von Wellen hören, die an einen Strand klatschten. Es war ein Raum des Wassers, der Ozeane und fernen Länder, der ihnen das Gefühl gab, ihrem Zuhause ferner zu sein als je zuvor. Rasch gingen sie ein Stück weiter und kamen in einen zweiten Raum. Es war ein grünes Zimmer voller Farne und Topfpflanzen, und es erinnerte sie an die Parks, in denen sie so gern spielten. Plötzlich hatten sie schlimmer Heimweh als je zuvor. Deswegen gingen sie erneut weiter und kamen zu einem dritten Raum. Die Tür zu diesem war geschlossen.

    Von außen war sie rot gestrichen. Aus irgendeinem Grund hatten sie große Angst vor diesem Raum, noch ehe sie die Tür geöffnet hatten.«
    »Warum?«, fragte Megan. Sie streckte mir die Hand hin, und ich nahm sie fest in die meine.
    »Hinter der roten Tür lag das rote Zimmer. Sie wussten, dass in diesem Zimmer alles war, wovor sie am meisten Angst hatten. Das waren für Megan andere Dinge als für Amy. Wovor hast du am meisten Angst, Megan?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Hast du nicht Angst davor, in großer Höhe zu sein?«
    »Ja. Und davor, aus einem Boot zu fallen und zu sterben.
    Und vor der Dunkelheit. Und vor Tigern. Und Krokodilen.«
    »Alles das war für Megan in dem roten Zimmer. Und für Amy?«
    »Amy hasst Spinnen«, erklärte Megan genüsslich. »Sie schreit schon, wenn sie eine bloß von weitem sieht.«
    »Ja, und Giftschlangen. Und Feuerwerksraketen, die in meinem Haar explodieren.«
    »Ok. Was haben Megan und Amy als Nächstes getan?«
    »Sie sind davongelaufen.«
    »Nein, das sind sie nicht. Sie wollten das Innere dieses Raums sehen. Sie wollten die Tiger und Boote und Krokodile sehen –«
    »Und die Giftschlangen –«
    »Und die Giftschlangen. Sie schoben also die Tür auf, betraten das rote Zimmer, sahen sich darin um und stellten fest, dass alles darin rot war. Die Decke war rot, die Wände waren rot, sogar der Boden war rot.«
    »Aber was war in dem Zimmer?«, fragte Megan. »Wo waren die Krokodile?«
    Ratlos hielt ich inne. Was war tatsächlich in dem Zimmer? Über diesen Teil der Geschichte hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Einen Moment lang dachte ich an einen echten wilden Tiger, der sie beide auffressen würde.
    »Da war ein kleiner Plüschtiger«, antwortete ich. »Und ein Plüschkrokodil.«
    »Und eine Plüschschlange.«
    »Ja, und ein kleines Spielzeugboot, und außerdem leckeres Essen und ein großes, schönes weiches Bett. Und die Eltern von Megan und Amy, die die zwei kleinen Mädchen ins Bett brachten, liebevoll zudeckten und ihnen einen dicken Gutenachtkuss gaben, woraufhin beide sofort einschliefen.«
    »Mit einem Nachtlicht?«
    »Mit einem Nachtlicht.«
    »Ich möchte noch eine Geschichte hören!«, erklärte Megan.
    Ich beugte mich zu ihnen hinunter und küsste ihre krause Stirn. »Nächstes Mal«, antwortete ich und wandte mich zum Gehen.
    »Der Schluss war ein bisschen abrupt, fand ich.«
    Erschrocken fuhr ich

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