Das rote Zimmer
Unterfangen. Die Praxis ist ganz anders als bei einem Vortrag in einem Seminar.«
»Weißt du, was ich glaube?«
Nun gestattete er sich so was wie ein gutmütiges Grinsen.
»Nein, Kit, ich weiß nicht, was du glaubst.«
»Ich glaube, ein Teil von dir würde gern verhaftet und eingesperrt werden, nur, um deine Weltsicht zu bestätigen.«
»Ich bin an großen Gesten nicht interessiert.«
»Das hängt davon ab, ob Märtyrertum auch als Geste zählt.«
Ich sah ihn an. Würde er mit einem Wutanfall oder einem sarkastischen Lächeln reagieren? »Vielleicht ist es sogar irgendwie schmeichelhaft, verhasst zu sein«, meinte er schließlich.
»Das könnte man als eine Definition von Paranoia interpretieren«, entgegnete ich. »Wahrscheinlich ist die Vorstellung, dass es alle auf einen abgesehen haben, besser als die Angst, von niemandem beachtet zu werden.«
»Aber du hast vorhin bestätigt, dass es tatsächlich ein paar auf mich abgesehen haben.«
»Ja, das stimmt. Wirst du mich jemals zu dir nach Hause einladen?«
»Wie meinst du das?«
»Du hast gesagt, du könntest in einer fremden Umgebung nicht schlafen. Ich würde mir gern mal ansehen, wie du es in deinem eigenen Bett schaffst.«
Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Wenn es nicht schon so spät wäre, würde ich dich jetzt sofort einladen, aber ich habe um neun einen Termin.«
»So habe ich es nicht gemeint.«
Nun wirkte er fast ein wenig verlegen. So hatte ich ihn noch nie erlebt. »Du bist jederzeit willkommen«, meinte er schließlich.
»Wie wär’s mit heute Abend?«
»Zum Beispiel«, antwortete er. »Ich möchte dich bloß vorwarnen, es ist – unter anderem – ziemlich spartanisch.
Na ja, es fehlt eben die Hand einer Frau.«
»Das freut mich zu hören.«
Plötzlich wirkte er wieder ernst. »Erwarte nicht zu viel von mir, Kit«, entgegnete er, jetzt wieder in seinem üblichen, distanzierten Tonfall.
Ich seufzte. »Ich glaube, ich erwarte sowieso nicht viel.«
Dann musste ich heftig gähnen.
»Müde?«
»Ich schätze, der heutige Tag wird ziemlich anstrengend.«
»Was ist gestern Nacht passiert?«
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und sah ihn an.
»Willst du das wirklich wissen? Es ist nicht sehr interessant.«
»Ja, ich will es wissen.«
Also bestellte ich zwei weitere Tassen Tee für uns und lieferte ihm eine Zusammenfassung meiner Nacht im Krankenhaus.
»Und wie geht’s jetzt weiter?«, fragte er, als ich fertig war.
»Die Frau stand noch unter Schock, als ich mit ihr sprach. Ich werde in den nächsten Tagen noch mal mit ihr reden, vielleicht kann ich dann mehr in Erfahrung bringen.«
»Was muss sie aber auch nach Mitternacht allein am Kanal spazieren gehen!«, meinte Will verächtlich. »Also ehrlich!«
»Du meinst, sie hat es herausgefordert?«
»Ich meine, dass sie sich wie eine Vollidiotin verhalten hat.«
Er nahm einen Schluck von seinem Tee. »Wie hieß noch mal ihr Mann?«
Es dauerte einen Moment, bis sich der dichte Nebel in meinem Kopf lichtete. »Gabriel.« Wieder dieses sarkastische Lächeln. »Kennst du ihn?«, fragte ich.
»Ich weiß zumindest, um wen es sich handelt.«
»Wer ist er?«
»Du hast bestimmt schon von dem Theater gehört, das in einem der Lagerhäuser an der Bahnlinie eröffnet hat? The Sugarhouse oder so ähnlich. Du weißt schon, ungarische Pantomimen auf Stelzen, so was in der Art. Das ist er.«
»Ja, ich glaube, ich habe davon gehört.«
»Er will frischen Wind in den Stadtteil bringen. Der Typ soll sich zurück nach Islington verziehen, dann wird seine Frau auch nicht mehr belästigt.«
»Frischen Wind in den Stadtteil zu bringen ist dein Job, stimmt’s?«
Ohne zu antworten, ließ Will einen Finger über den Rand seiner Tasse gleiten. Dann hob er den Kopf und sah mich an.
»Und was willst du?«, fragte er.
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, worum geht es dir bei dieser Sache? Willst du dazu beitragen, dass die Polizei am Ende gut dasteht, oder glaubst du, du kannst den Mörder ganz allein fangen?«
»Ich habe nur eine Beratungsfunktion, das ist alles«, antwortete ich zögernd.
» Mich brauchst du nicht zu überzeugen«, sagte er. »Was weiß ich schon? Soweit ich sehe, fährt da so ein Irrer durch die Stadt und überfällt Frauen. Er ist gefährlich, und er muss gefasst werden. Das ist klar. Ich verstehe bloß nicht, was du dabei für eine Rolle spielst. Oder, warum.
Warum du dich so engagierst. Worum es dir bei der ganzen Sache geht.« Er hob die Hand und fuhr mit
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