Das rote Zimmer
Mann, der Sie angegriffen hat?«
»Nein! Nein, daran würde ich mich doch bestimmt erinnern, oder? Oder nicht?«
»Was ist mit den Männern, die Ihnen geholfen haben?«, fragte ich in möglichst neutralem Tonfall.
»Was?« Sie sah mich blinzelnd an und fuhr sich dann erneut mit den Händen übers Gesicht.
»Hatten Sie diese beiden Männer schon mal gesehen?«
»Gesehen? Nein. Ich weiß nicht. Wer waren sie? Warten Sie, warten Sie einen Moment!«
Ich stand auf und ging zu dem kleinen Fenster hinüber.
Draußen brach der Morgen an. Durch das Fenster konnte man direkt in ein anderes Zimmer hineinsehen. Es war leer. Die Gedanken im meinem Kopf drehten sich im Kreis. Was, zum Teufel, hatte Doll dort zu suchen gehabt?
Ich würde später mit ihm sprechen müssen. Mein Mund war von dem Whisky, den ich am Vorabend getrunken hatte, völlig ausgetrocknet, meine Augen schmerzten. Ich brauchte dringend ein wenig Koffein.
»Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich. »Es tut mir Leid.«
»Bryony.« Ich drehte mich zu ihr um. Sie starrte mich erwartungsvoll an. »Sollten Sie sich doch noch an irgendetwas erinnern, egal, was, selbst wenn es ein noch so banales Detail zu sein scheint, dann ist es sehr wichtig, dass Sie das jemandem sagen. Der Polizei oder mir, das ist egal. Hauptsache, Sie sagen es. Ja?«
Sie nickte. In dem Moment schwang die Tür auf, und Oban streckte den Kopf in den Raum. »Mrs. Teale«, sagte er, »Sie bekommen Besuch. Ihr Mann ist auf dem Weg zu Ihnen.«
»Ich gehe jetzt, Bryony, aber ich werde später noch mal wiederkommen, wenn Sie nichts dagegen haben«, erklärte ich, während ich mich auf die Tür zubewegte, wo Oban mit müdem Blick und sorgenvoll gerunzelter Stirn wartete.
Sie nickte mir zu und schloss dann die Augen.
»Und?«, flüsterte Oban, als wir auf dem Gang standen.
»Sie kann sich kaum an was erinnern.«
»Verdammt«, sagte er. »Verdammt, verdammt, verdammt.«
»Aber das kommt wieder«, beruhigte ich ihn. »Sie steht noch unter Schock. Geben Sie ihr Zeit.«
»Zeit, sagen Sie. Zeit ist das Einzige, was ich nicht zu vergeben habe. Was, wenn er wieder zuschlägt?«
Ein großer Mann ging an uns vorbei, Bryonys Mann, wie ich vermutete. Er hatte eine gerade Nase, dunkles Haar und buschige dunkle Augenbrauen. Er erinnerte mich an ein Bild eines römischen Kaisers, das ich als Kind mal in einem Buch gesehen hatte.
»Möchten Sie, dass ich später noch mal mit ihr rede?«, fragte ich Oban.
»Würden Sie das tun?«
»Natürlich. Wie Sie selbst schon gesagt haben, ist es in Anbetracht dessen, was passiert ist, wohl am besten, wenn eine Frau mit ihr spricht.«
»Ja.«
»Was ist mit Doll? Soll ich mit dem auch sprechen?«
»Verdammt«, sagte er wieder. »Keine Ahnung. Er ist gerade auf dem Polizeirevier und macht seine Aussage.«
»Dann war er definitiv nicht der Angreifer?«, fragte ich vorsichtig.
»O Gott, Kit, fragen Sie mich in ein paar Stunden wieder. Der andere Zeuge ist auch dort. Endlich mal ein vernünftiger Mensch.«
»Sie meinen, ein Anzugträger mit Handy?«
»Ja, genau. Jedenfalls mache ich mich jetzt auf den Weg zurück ins Revier. Vielleicht kann ich dort mehr in Erfahrung bringen.« Er gab ein entnervtes Grunzen von sich, ehe er hinzufügte: »Aber nur vielleicht.«
»Gut, rufen Sie mich an. Auf meinem Handy – ich bin wahrscheinlich unterwegs.«
»Ja. Danke.« Er klang geistesabwesend. Dann sagte er:
»Wissen Sie, was mich am allermeisten nervt?«
»Was?«
»Wir haben drei Zeugen, falls man den bescheuerten Mickey Doll mitrechnet. Einer davon ist ein Geschäftsmann, einer steht unter Schock, und der dritte ist ein gottverdammter Perverser und so durchgeknallt, dass er nicht mal drei vernünftige Gedanken aneinander reihen kann, und gehört außerdem auch noch zum Kreis der Verdächtigen – oder würde zumindest gern dazugehören.
Ich brauch jetzt erst mal eine Pause.«
»Lassen Sie sich Zeit. Vielleicht sollten Sie sich wirklich mal eine Pause gönnen.«
»Vielleicht.«
»Wir reden später weiter.«
Ich wurde von einem Polizeiwagen nach Hause gefahren.
Obwohl es noch früh am Morgen war, herrschte auf den Straßen bereits dichter Verkehr. Die nassen Gehsteige glänzten im Sonnenlicht. Die Metalljalousien vor den Zeitungsständen wurden hochgezogen. Asiatische Händler schleppten Orangenkisten und Körbe voller Pflaumen, die sie vor ihren Läden zu Pyramiden aufschichteten. Ein Wagen der Müllabfuhr bewegte sich langsam die Straße entlang, um die
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