Das rote Zimmer
Kaffee.«
»Den Kaffee hier kann ich nicht empfehlen.«
»Dann Tee.«
»Nichts zu essen?«
»Ich habe etwas gegessen, als ich nach Hause gekommen bin.«
Ein großer ovaler Teller mit Wills Frühstück wurde gebracht, dazu zwei dunkelbraune Tassen Tee. Er häufte eine Ladung von dem gebratenen Speck mit Ei und Tomate auf seine Gabel.
»Tut mir Leid«, sagte er, bevor er sie sich in den Mund schob.
»Was tut dir Leid?«
Er musste eine ganze Weile kauen und schlucken, bevor er wieder in der Lage war zu sprechen. Er nahm einen Schluck Tee. Ich folgte seinem Beispiel. »Dass ich einfach gegangen bin«, sagte er. »Ich kann in einer fremden Umgebung nicht schlafen. Da werde ich total unruhig.«
Ich gab ihm keine Antwort. Will aß weiter, ohne mich anzusehen.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte ich schließlich. »Mir ist es lieber, du bist offen und ehrlich zu mir. Ich habe es satt, irgendwelche Spielchen zu spielen.
Vielleicht bin ich auch nur müde.«
Will war gerade damit beschäftigt, mit einem Stück Toast den Eidotter von seinem Teller zu tunken. Das war fast mehr, als ich um diese Tageszeit ertragen konnte. Er schob das Brot in den Mund und kaute energisch darauf herum. Dann wischte er sich den Mund mit einer Papierserviette ab, hob den Kopf und sah mich an. In dem Moment wurde mir klar, wie selten er das tat. Die meiste Zeit sah er seitlich an mir vorbei, über meine Schulter. Ich hatte ihn schon nackt gesehen, war mit ihm im Bett gewesen, hatte aber noch kaum Gelegenheit gehabt, ihm in die Augen zu blicken. Er war ein paar Jahre älter als ich, um die vierzig, sah aber um einiges älter aus. Sein Haar wurde bereits grau, und die Haut über seinen hohen Wangenknochen wies nicht nur kleine Knitterfältchen, sondern richtig tiefe Furchen auf. Seine grauen Augen aber waren sehr klar, wie die eines Kindes.
»Es war nicht bloß das«, erklärte er, wobei sich sein Gesicht leicht rötete. »Ich habe dich betrachtet, nachdem du eingeschlafen warst. Ich habe dir die Haare aus dem Gesicht gestrichen. Du schläfst sehr tief.« Er lächelte ein wenig. »Du hast sehr hübsch ausgesehen.«
»Hör zu, du musst nicht … ich weiß, dass ich nicht …«
»Sei still und hör mir zu. Ich versuche damit nur zu sagen, dass du anders ausgesehen hast. Zum ersten Mal, seit ich dich kenne, hast du nicht traurig oder besorgt gewirkt, oder …«, er zögerte einen Moment, ehe er weitersprach, »… oder zu hoffnungsvoll.«
»Oh, tja, hoffnungsvoll«, sagte ich. Es klang ziemlich kläglich, als wäre ich ein Hund, dem gleich jemand einen Tritt versetzen würde.
»Sogar als du in deinem Wohnzimmer auf mich zugekommen bist, hast du ein bisschen traurig gewirkt.
Aber dann, nachdem du eingeschlafen warst und dir keine Gedanken mehr darüber machen konntest, ob jemand da war oder nicht, hast du ganz jung und friedlich ausgesehen.«
Ich nahm einen Schluck von dem Rest Tee in meiner Tasse. Er schmeckte noch bitterer als am Anfang.
»Und da hatte ich plötzlich das Gefühl«, fuhr Will fort,
»dass ich dir keinen größeren Gefallen tun konnte, als dich in Ruhe zu lassen.«
»Ich brauche keinen Beschützer«, begehrte ich auf. »Ich kann selbst entscheiden, was gut für mich ist. Außerdem glaube ich, dass du trotz allem ein recht glücklicher Mensch bist, wenn auch auf deine ganze eigene, grimmige Art. Was eigentlich erstaunlich ist, wenn man bedenkt, wie viele Leute dich hassen.
Eigentlich müsste es Teil deines Jobs sein, gut mit der Polizei und den Sozialdiensten auszukommen.«
»Ich habe keinen Job«, entgegnete Will stirnrunzelnd.
»Genau wie viele von den Kids, die ich von der Polizei und den Sozialdiensten fern zu halten versuche.«
»Du redest, als hätten sie es auf dich abgesehen.«
»Sie haben es auf mich abgesehen.«
»Ich hörte ein paar Leute über Drogenhandel in deinem Haus reden. Sie sprachen von deiner möglichen Mittäterschaft. Dafür könntest du zehn Jahre ins Gefängnis wandern.«
»Die können mich mal«, antwortete er mit einer wegwerfenden Handbewegung.
»Haben sie Recht? Drückst du tatsächlich beide Augen zu?«
Er antwortete mit einem unverbindlichen Grunzen.
»Du kannst es mir ruhig sagen, ich bin nicht verkabelt.«
Er zuckte mit den Achseln. »Du hast doch gesehen, wie es bei uns zugeht. Natürlich versuchen wir die Dealer draußen zu halten, aber Drogen sind nun mal ein Teil dieser Jugendszene. Wir wollen diesen jungen Leuten helfen. Ein schwieriges und chaotisches
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