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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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seinem Zeigefinger sanft meine Narbe nach. Seine Berührung ließ mich erschaudern. »Du bist schon einmal angegriffen worden. Reicht dir das nicht?«
    Ich nahm seine Hand in meine. »Lass das«, sagte ich.
    »Ich sollte dich ein paar von den Detectives vorstellen.
    Was meine Arbeit betrifft, scheint ihr euch alle einig zu sein. Trotzdem muss ich jetzt ein bisschen mit dieser sinnlosen Arbeit weitermachen.« Ich stand auf.
    »Ich habe nicht gesagt, dass das, was du tust, sinnlos ist.
    Ich verstehe es einfach nicht.«
    Ich beugte mich zu ihm hinunter und küsste ihn. »Das Problem ist, dass man bei allem immer erst am Ende, wenn es zu spät ist, weiß, ob es die Mühe wert war. Aber jetzt muss ich wirklich los. Wir sehen uns.«
    »Heute Abend?«
    »Möchtest du das überhaupt?«
    »Soll ich dich auf Knien bitten?«
    Ich ließ den Blick durchs Café schweifen. »Das ist vielleicht nicht der richtige Ort«, antwortete ich. »Also, ich stehe hier, ganz hoffnungsvoll, wie du es ausgedrückt hast, und erkläre dir, dass ich dich Wiedersehen möchte, heute Abend, bei dir. So, jetzt du. Willst du es auch?«
    »Ja«, sagte er ganz leise, fast im Flüsterton. »Ja.« Wir starrten uns an.
    Als ich das Café verließ, saß er noch immer vor seinem leeren Teller und dem kalten Tee und machte ein ernstes Gesicht. In zwölf Stunden würde ich ihn wieder in meinen Armen halten.

    28. KAPITEL
    Endlich, dachte ich, ein Zeuge, mit dem man normal reden konnte, ein Mann, der seine Gedanken klar aussprach, der sich an die Fakten hielt, der sah, was es zu sehen gab, und dessen Urteilsvermögen nicht durch irgendwelche Fantasien beeinträchtigt wurde. Er schüttelte mir energisch die Hand und räusperte sich, um für unser Gespräch bereit zu sein. Meine Augen brannten. Der viele Kaffee und die zwei Tassen bitteren Tees, die ich an diesem Morgen getrunken hatte, waren Gift für meinen Körper.
    »Dr. Quinn«, stellte ich mich vor.
    »Ich bin Terence Mack. Aber die meisten Leute nennen mich Terry.«
    »Machen Sie das öfter, dass Sie nach Mitternacht am Kanal spazieren gehen?«, wollte ich wissen.
    Er schnaubte leicht verächtlich. »Ich glaube nicht, dass ein Kerl wie ich sich deswegen Sorgen zu machen braucht.«
    Da musste ich ihm Recht geben. Er war ein kompakt gebauter, rötlicher Typ mit haarigen Knöcheln und Handgelenken und auffallend langen Ohrläppchen. Sein dunkelgrauer Anzug spannte ein wenig um den Bauch, und zu seinem weißen Hemd trug er eine rot-schwarz gestreifte Krawatte, von deren Anblick mein Kopf noch mehr wehtat. Er musste ebenfalls die halbe Nacht auf gewesen sein, wirkte aber kein bisschen müde, sondern saß aufrecht und hellwach vor mir.
    Trotzdem brachte er uns keinen Schritt weiter. Wie die meisten Zeugen hatte er erst im Nachhinein realisiert, was eigentlich passiert war. Ich hatte seine Aussage vor mir liegen. Sie war kurz und präzise. Er hatte sich sogar die genaue Zeit des Überfalls gemerkt, weil er kurz danach auf die Uhr gesehen hatte – ein Uhr neunzehn war es gewesen, und seine Uhr ging auf die Sekunde genau, wie er betonte. Seiner Aussage zufolge war er am Kanal entlanggegangen, weil er nach einer Besprechung mit Kunden aus Singapur, die im nahe gelegenen Pelham Hotel stattgefunden hatte, kein Taxi hatte auftreiben können. Der Treidelpfad war der kürzeste Weg zu einer viel befahrenen Kreuzung nahe der U-Bahn-Station Kersey Town, wo es einen Taxistand gab.
    »Ich kam gerade aus dem Tunnel«, erklärte er. »Er ist nachts beleuchtet, sodass ich also aus dem Licht in die Dunkelheit trat und einen Moment lang überhaupt nichts sehen konnte. Sie wissen ja, wie das ist.« Ich nickte. »Ich hörte nur ein Geräusch. Dann konnte ich ein paar Schatten erkennen, irgendein Handgemenge am Rand des Kanals.
    Und ehe ich mich versah, hatte ich diese schreiende Frau im Arm.«
    »Und sie sagte …« Ich warf erneut einen Blick auf seine Aussage: ›»Hilfe! Hilfe! Bitte helfen Sie mir!‹«
    »Vielleicht hat sie sogar noch öfter ›Hilfe!‹ gerufen, das weiß ich nicht mehr so genau. Sie schrie es aus voller Kehle, obwohl sie nur ein paar Zentimeter von mir entfernt stand. Ihr Haar hing vor meinen Augen, sodass ich kaum etwas sehen konnte, aber ihre Stimme war klar und deutlich zu vernehmen.«
    »Und danach haben Sie auch nichts mehr gesehen.«
    »Nur diesen anderen Typen, der ein paar Meter entfernt stand.«
    »Sie meinen den anderen Zeugen?«
    Er zog seine buschigen Augenbrauen hoch. »Ein seltsamer

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