Das sag ich dir
Killer- und Ego-Shooter-Spiele spielen konnte. Manchmal schlitterten wir auch schreiend über das graue Eis. Ich beobachtete gern die Teenager, die schwatzten oder Billard spielten, die Mädchen aufgemotzt und von den Jungen angeglotzt. Von allen Menschen war ich am liebsten mit meinem Sohn zusammen, aber seit kurzem verspürten wir beide eine Einsamkeit oder Leerstelle in unserem Leben.
»Hey, Jungs!«, sagte Miriam, als wir eintraten, und bat eines ihrer Kinder, uns etwas zu essen zu holen. »Gib mir einen Kuss, Jamal, kleiner Bruder.« Sie hatte sich zurückgelehnt und beide Arme ausgebreitet. »Niemand küsst mich mehr.«
»Aus Angst, durchbohrt zu werden?«
Ich wurde an das Gesicht meiner Schwester gezogen, doch ein Kuss war riskant. Man musste sich stets die Position der vielen Ringe und Stifte vergegenwärtigen, die Augenbrauen, Nase, Lippen und Kinn zierten. Manche Abschnitte ihres Gesichts ähnelten einer Vorhangstange. »Hüten Sie sich vor Magneten«, war der einzige Kosmetiktipp, der mir dazu einfiel. Ich hasste es, mir vorzustellen, was passieren würde, wenn sie in ein Flugzeug steigen wollte - am
Flughafen würden sämtliche Alarmanlagen schrillen, obwohl Piercings nicht unbedingt ein Erkennungsmerkmal von Terroristen waren.
In einer Ecke der Küche packte Bushy, der Fahrer, Zigaretten in einen Koffer. Überall im Haus lagen schwarze Säcke mit Schmuggelware herum wie die Losung eines Riesen. Vor seinem Job als Caddie war Bushy Einbrecher gewesen. Er nannte mich »Kumpel«, seit ich ihm gebeichtet hatte, als junger Mann zwischen einer akademischen Karriere und einer als Einbrecher geschwankt zu haben. Ich hatte sogar einmal bei einem Einbruch mitgemacht, für den ich mich immer noch schämte.
Gelegentlich traf ich Bushy im Cross Keys, einem nahen Pub, in dem es ziemlich rau zuging. Dort war ich oft, um einen zu trinken, vor allem während der endlos langen und zermürbenden Tage vor und nach der Trennung von Josephine, als sie immer noch abstritt, eine Affäre zu haben, und das Traumbild zerstörte, das ich von ihr hatte, obwohl ich ihr wiederholt versicherte, ich wisse längst, was Sache sei. Keiner meiner Freunde konnte diesem Pub etwas abgewinnen, aber alle fanden Josephine sympathisch und nett und meinten, dass sie viel unter meinen Launen und meinem ausweichenden Verhalten zu leiden gehabt hätte. Nach der Trennung von Josephine konnte ich merkwürdigerweise wochenlang keine Musik mehr ertragen, und das Einzige, was ich hörte, waren die Scheiben, die im Cross Keys liefen.
»Na, was ist los, Doc?«, fragte Bushy. Er sah sich vorsichtig um, bevor er flüsterte: »Wie wär's mit ein bisschen Viagra? Ein Mann ohne Viagra ist wie ein Motor ohne Saft.«
»Du weißt doch, dass ich nichts verschreiben kann, Bushy. Außerdem hat ein Kerl wie du das gar nicht nötig.«
»Ich wollte«, erwiderte er, »eigentlich wissen, ob du eine Dröhnung brauchst. Ich kann dir eine nagelneue Lieferung dieser geilen blauen Sorte bieten. Das Zeug sorgt dafür, dass du tagelang geladen bist wie eine Haubitze - garantiert echte erste Sahne.«
»Und wozu soll er geladen sein, wenn er nichts mehr hat, worauf er feuern kann? In seinem Fall wäre das reine Verschwendung«, rief Miriam. Dafür, dass sie gern behauptete, taub zu sein, bekam sie ziemlich viel mit.
»Stimmt das?«, fragte Bushy, der mich einigermaßen verdutzt anschaute.
»Voll und ganz«, antwortete ich.
»Junge!«, sagte er. »Wo kommen wir denn hin, wenn nicht einmal mehr ein niedergelassener Arzt seinen Schwanz anfeuchten kann?«
Miriam hatte sich auf ihren Platz am langen Küchentisch gesetzt. Dort verbrachte sie tagsüber und abends sehr viel Zeit auf einem stabilen Holzstuhl, von dem aus sie bequem an ihre zahllosen Tabletten und auch an ihre Vitamine, ihre Zigaretten und ihr Dope kommen konnte. Sie konnte ohne hinzuschauen ihre drei Handys orten, eine Tasse Tee, ihr Adressbuch, ihre Tarotkarten, den großen, von Dope überquellenden Karton, diverse Katzen und Hunde und außerdem Packungen mit halb aufgegessenen Keksen, einen Haschischkuchen, die Fembedienung für den Fernseher, einen Taschenrechner, einen Computer und einen Hausschuh, den sie entweder warf - dies für die Hunde - oder dazu benutzte, um ihre Kinder abzuwatschen, wenn diese das Pech hatten, an ihr vorbeizulaufen, wenn sie gerade auf hundertachtzig war.
Ihr Laptop lief immer, obwohl sie ihn meist abends benutzte. Die unbegrenzte Anarchie des Internets war ein Glücksfall für
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