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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Verfasser von Bekenntnissen sprechen wollte, die ich als junger Mann gelesen hatte, etwa den heiligen Augustinus, Rousseau, De Quincy oder Edmond Gosse, bezeichnete Miriam ihre Torturen als zeitgemäße Therapie für die ganze Nation. Die Menschen, die in diesen Sendungen auftraten, würden das Gleiche tun wie ich, nur, dass es allen nütze, öffentlich und gar nicht versnobbt und auf jeden Fall amüsanter sei.
    Seit kurzem, »weil man überall Krieg macht«, suchte Miriam einen weisen Wolf auf. Bushy fuhr sie zu einem Heiligtum, wo sie sich zu einem weisen Wolf setzte, manchmal auch zu dessen Angehörigen. Sie glaubte, dass diese Tiere nicht mit jedem Zwiesprache hielten. Man musste »den Geist« besitzen. Und niemand konnte bezweifeln, dass sie vor allen anderen Menschen mit diesem Geist gesegnet war.
    Wie gesagt: Ich weiß nicht, wie Bushy vom Taxifahren leben konnte, aber vermutlich zahlte Miriam ihm einen bestimmten Prozentsatz ihrer Einkünfte. Wenn er von jemandem auf die typisch englische Art gefragt wurde, was er tue, antwortete er stets: »Nichts ohne Kohle.« Doch Miriam und ich wussten, dass Bushy etwas von der Genialität unseres Großvaters besaß, und vielleicht mochten wir ihn deshalb. Sie hatte aber auch etwas davon: Miriam schob immer irgendwelches Geld hin und her, und Bushy war ein bewährter Assistent bei ihren zahlreichen kleinen Geschäften: Geschmuggelte Fernseher, Computer, iPods, Telefone, Zigaretten, Pornos, dazu Alkohol und Hasch und außerdem noch Lederjacken und DVDs. All das erwarb und verscherbelte sie mit seiner Hilfe und der ihrer älteren Kinder in der Nachbarschaft, meist jedoch im Cross Keys.
    Vor einiger Zeit hatte sie einem polnischen Bauhandwerker zweihundert gestohlene Levis-Jeans abgekauft. Nachdem sie festgestellt hatte, dass alle Größe 46 waren, verbrachten wir ein ganzes Wochenende mit dem Abtrennen der Etiketten, damit sie so tun konnte, als würde es sich um verschiedene Größen handeln. Sie wusste, dass die Leute, geblendet vom Schnäppchenpreis, die Hosen beim Verkauf aus dem Auto nicht anprobieren würden. Sie erwarb auch eine ganze Ladung Turgeniew-Wodka, der sie 5000 £ kostete. Ich half ihr mit einem Kredit aus, und schon bald überschwemmte der billige Fusel die örtlichen Pubs und Clubs. Sollten die Leute doch Magenblutungen bekommen, egal, wir hatten, wie Miriam sich ausdrückte, »einen guten und ehrlichen Gewinn gemacht«.
    Miriam war in krimineller Hinsicht viel begabter als meine früheren Kumpel und Komplizen Wolfgang und Valentin, ja, sie war so hochbegabt, dass ich sie gern als Unternehmerin bezeichnete, aber dafür hatte sie nur Hohn und Spott übrig. Immerhin stimmte es, dass sie ihr Geschäft über viele Jahre hinweg aufgebaut hatte. Dazu waren Gerissenheit, Wagemut und die Fähigkeit erforderlich, andere Menschen einschätzen zu können, und sie konnte sich und ihre Familie sowie einige Nachbarn damit über Wasser halten - eine durchaus beachtliche Leistung. Mit Recht und Gesetz stand sie daher nicht auf gutem Fuß, sondern eher auf Kriegsfuß. Recht und Gesetz bedeuteten nackte Gewalt, und beides musste gemieden und ignoriert werden. Sie behauptete gern, noch nie in einem Regierungs-Computer gespeichert gewesen zu sein, und es klang immer so, als wäre das eine Befreiung für sie.
    Obwohl sie mich großherzig »Seelendoktor« nannte, war ich in ihren Augen nicht so ehrenwert, als dass mein feuchter und enger Keller nach meiner Scheidung und meinem Umzug in die zwei Stockwerke jener Wohnung, die ich als Büro und Praxis benutzte, nicht von Plastiktüten mit heißer Ware überquoll, die Bushy gebracht hatte. Außerdem hatte sie Rollen Luftpolsterfolie bei mir deponiert, für die sie weder Platz noch Käufer hatte. Doch im Grunde war ich froh, weiter die Grenzen des Erlaubten überschreiten zu dürfen, und sei es in einer so niederen Funktion. Wenn ich die Zeit fand, packte ich Rafis alte Halb- und Fußballschuhe mit der Luftpolsterfolie ein, damit sie nicht feucht wurden - zum Gedenken an seine entschwindende Kindheit.
    Als Jugendlicher hatte auch ich mich mit Popstars und Filmen beschäftigt, um hipper zu werden, war aber stets der stille, brave Bücherwurm geblieben. In unserem Haus war kein Platz für zwei Selbstdarsteller, und außerdem glaubte ich, insgesamt gesehen weniger Ärger zu bekommen, wenn ich mich benahm und nicht aufmuckte. Vater hatte mich nie beschützt. Er hatte nur kurz bei seiner englischen Frau, unserer Mutter, und uns - seinen

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