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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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würde, den ich mochte oder wenigstens verstand. Es war schon eine Leistung und etwas, worauf ich stolz war, dass wir - obwohl wir den Kontakt, wenn auch zögerlich, immer gehalten hatten - im Laufe der letzten zwei Jahre enge Freunde geworden waren. Inzwischen besuchte ich sie regelmäßig zu Hause.
    Ich brauchte lange, um Miriam etwas abgewinnen zu können, vor allem, weil sie Mama und natürlich auch mich so oft in haareraufende und köpf schwirrende Verzweiflungsanfälle gestürzt hatte. Ich kann allerdings nicht leugnen, dass das Chaos, das sie hier und in Pakistan anrichtete - davon wird noch zu berichten sein -, halb so schlimm war wie jenes Verbrechen, das ich begangen habe.
    Ich lebe jeden Tag mit einem Mord. Einem echten. Ich, ein Mörder. Schön - ich habe es gesagt. Es ist heraus; und jetzt ist alles anders. Bis ich diese Worte niedergeschrieben habe, wusste nur eine andere Person Bescheid. Falls sich die Sache herumspricht, könnte das meiner Karriere als Seelendoktor schaden. Es wäre schlecht fürs Geschäft.
    Die Hintertür von Miriam war wie immer offen. Rafi rannte ins Haus und verschwand nach oben. Er wusste, dass sich dort eine kleine Schar von Kindern die neuesten X-Box-Spiele anschaute oder DVDs mit thailändischen Untertiteln brannte, die man in einem Kino in Bangkok direkt von der Leinwand raubkopiert hatte. Ich war froh, dass sich mein Sohn in den Lärm und das Gewirr begab. Die Kinder hier in der Gegend wirkten älter und nicht ganz so naiv wie er, obwohl sie im gleichen Alter waren. Für sie war die Schule vor allem lästig.
    Doch Miriams Kinder und auch Miriam selbst ließen es nicht zu, dass die Nachbarn Rafi drangsalierten. Wenn er wieder herunterkam, waren seine Augen jedes Mal überanstrengt und er war fast stumm, hatte aber meist viele neue Begriffe aufgeschnapt, zum Beispiel »voll krass«, »das schockt«, »hektisch«, »chillig bleiben« und, zu meiner Überraschung, »radikal«, ein Wort, das ich stets mit Hoffnung und dem ersehnten Bruch der Routine verbunden hatte, Assoziationen, von denen es inzwischen getrennt worden war. Rafi hasste es allerdings, wenn ich seine neuen Begriffe bewunderte. Sagte ich zum Beispiel: »Radikalhektisch, Mann!«, dann murmelte er immer: »Voll peinlich. Trüber, fetter, kahler, alter Mann fast tot. Besser Klappe halten.«
    Meine Frau, Josephine, hatte Miriam immer gemocht. Zu Anfang hatte sie sich sogar sehr um sie bemüht, dann aber gemerkt, dass ihr meine Schwester schnell zu anstrengend wurde. Sie beneidete Miriam um
    deren »Egotismus«, sagte aber auch, dass Miriam in der Hoffnung rede und rede, auf etwas Erzählenswertes zu stoßen, und verglich ihren nicht abreißenden Redefluss mit dem langsamen Ersticken unter einer Plastiktüte.
    Josephine kommunizierte lieber durch ihre Wehwehchen, und sie war neidisch und misstrauisch, wenn jemand zu beredt und wortgewandt war. Gleichzeitig hatte sie ein beachtliches Interesse an Gesprächen -oder Büchern - über Migräne, Krebserkrankungen und Verdauungsstörungen, Viren, Infektionen und Albträume, Beschwerden, die sie mit Karotten, Bananensäften und schweißtreibenden Yogaübungen zu kurieren versuchte. Sie schluckte so viel Aspirin, dass ich mit der Zeit argwöhnte, sie würde es für ein Vitamin halten.
    Angeblich wusste Josephine immer sofort, dass Rafi bei Miriam gewesen war: Seine Sprache sei dann derber als sonst, sagte sie. Wie es wohl alle Eltern zwangsläufig tun, hatten wir uns heftig darüber gestritten, was dem Kind zuzumuten sei. Bei mir konnte er fernsehen, essen, was er wollte, und auch Schimpfworte benutzen, je phantasievoller, desto besser. Ich bezeichnete das als« mit der Sprache und ihren Möglichkeiten vertraut werden«. Eine Weile sprach er mich nur mit Mr Mösenfotz an. »Na, und?«, sagte ich zu Josephine. »Immerhin nennt er mich >Mister<, das zeugt von Respekt.« Aus ihrer Sicht war ich lasch, lax, laisser-faire. Was nützte ein Vater, der keine Grenzen ziehen konnte? In den wütenden und quälenden Debatten mit Josephine ging es stets um die grundlegendsten Dinge - um unsere Vorstellung davon, was ein guter Mensch war und wie er reden sollte.
    Kürzlich hatte ich Rafi ein neues Fahrrad gekauft. An den Wochenenden marschierte ich strammen Schrittes nach Barnes oder Putney, und er radelte neben mir her. Oder er überredete mich, mit ihm in ein Einkaufszentrum zu gehen - seltsamerweise sein Lieblingsort -oder zur Kunsteisbahn am Queensway, damit er in der dortigen Arkade

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