Das sag ich dir
das, was er zur Hartnäckigkeit der Lust zu sagen hatte, die auch alte Menschen immer noch bei der Gurgel packt und nicht loslassen will.
Ajita hatte untypischerweise ein wenig Gras mitgenommen. Aus Angst, aus dem Hotel geworfen zu werden, rauchten wir es wie Schüler an den offenen Fenstern in den Toiletten von Cafes.
»Das macht richtig Spaß, Ajita.«
»Finde ich auch. Sobald ich mein konventionelles Leben an den Nagel gehängt hatte, war ich besser drauf. Zu Hause bin ich nach einem Joint immer wie eine Wahnsinnige durch die Wohnung getanzt.«
»Was meinst du mit zu Hause? Soho?«
»Ja. Mein vorübergehendes neues Zuhause in London. Den Ort, an den ich mich verkrümelt habe, wie ein Teenager, der von zu Hause abgehauen ist.«
Wir kicherten, weil wir uns so gut verstanden, und wenn wir damals zusammengeblieben wären, meinten wir, hätten wir wohl geheiratet und uns irgendwann scheiden lassen, nur um genau wie jetzt wieder Freunde zu werden. Ich erzählte ihr von Josephine und von der tiefen Bindung, die immer noch zwischen uns bestand, und sagte, dass mir der heftige Streit, den wir miteinander ausgefochten hatten, sehr gut gefallen habe.
Als Ajita auf meine Frage nach Mark, ihrem Mann, sagte, er sei ein guter Typ und ein anständiger, liberaler Amerikaner, war mir klar, dass seine Tage gezählt waren.
»Mark und ich haben geheiratet, als Mustaqs Musikkarriere begann und er sich Sorgen um mich machte«, erzählte sie. »Mark hat zur gleichen Zeit viel Arbeit in den Aufbau seiner Firma gesteckt. Er hat in Asien Kleider produziert und dort viel Zeit verbracht. Ich habe die Kinder in einem guten Apartment in Central Manhattan großgezogen. Eines Tages sind sie dann ausgeflogen. Mein Mann war in Los Angeles, in unserer anderen Wohnung. Da wusste ich, dass ich nach London zurückkehren musste, das ich jahrelang gemieden hatte, weil es dort zu viele Altlasten gab - es war noch eine offene Wunde für mich. Aber ich musste einen neuen Anfang im Leben wagen.«
Am letzten Vormittag wollten wir zum Brunch in Harry's Bar. Doch als wir nach unten in die Lobby gingen, schrie Ajita auf - denn alles stand unter Wasser, trübe und fast dreißig Zentimeter hoch. Es lag nicht an einem Tsunami, sondern am langsam steigenden Meerespegel. Inzwischen passierte dies dreimal pro Woche.
Wir bekamen Gummistiefel und stapften aus dem Hotel. Der Markusplatz war ein bewegter See. Auf der Straße standen halb vom Wasser verschluckte Tische und Stühle wie Objekte einer Installation, und ringsumher trieben ertrunkene Tauben. Touristen quetschten sich auf Behelfsbrücken aneinander vorbei, Ladenbesitzer versuchten, ihre Räumlichkeiten auszupumpen. Ich schaute über die hohen Wellen zum Lido und fragte mich, wie der hinkende Byron so weit hatte schwimmen können. Selbst als Jugendlicher hätte ich nicht einmal die Hälfte der Strecke geschafft.
Wir wateten zu Harry's, und nachdem wir zu viele Bellinis getrunken hatten, wollte ich über den Tisch hinweg Ajitas Hand ergreifen und ihr sagen, wie leicht alles mit uns sei. Vielleicht konnte sich doch etwas zwischen uns entwickeln. Eine Nacht blieb uns noch, und wir konnten uns ja weiter unterhalten und küssen und abwarten, wohin uns das führte.
»Ajita ...«
»Ich möchte dich nicht abwürgen«, sagte sie, »aber ich wollte es dir schon die ganze Zeit erzählen - ich habe jemanden kennengelernt.« Sie musste lachen. »Ich wusste einfach, dass es in London passieren würde, meiner Glücksstadt. Die Sache ist noch ganz frisch.«
»Ach so.«
»Er ist zärtlich und gibt mir das Gefühl, schön zu sein. Mehr verrate ich nicht - und auf keinen Fall seinen Namen. Ich wage es mir selbst ja kaum einzugestehen, geschweige denn dir oder meinem Mann. Und das verdanke ich dir, Jamal, denn du hast mir das nötige Selbstvertrauen geschenkt.«
»Das ist ja wunderbar«, sagte ich. »Das ist doch großartig für dich.«
»Findest du das wirklich?« Sie betrachtete mich. »Na, mal abwarten. Ich kann dir jetzt nicht mehr darüber sagen. Das bringt vielleicht Unglück, und außerdem würde ich mich lächerlich machen. Aber glaub nicht, dass es nur um Lust geht.«
»Warum nicht?«
»Ich habe zum ersten Mal von Dad erzählt. Dieser Mann interessiert sich für Papas Schicksal.« »Das klingt gut.«
»Weißt du, Jamal, mir ist etwas Merkwürdiges aufgefallen.«
»Und was?«
»Mustaqs Leute - diejenigen, die Nachforschungen in dieser Sache angestellt haben - haben ein Pressefoto entdeckt, das Dad
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