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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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misslichen Situation zu tragen, wollte die Sache aber »durchsprechen«. Sie sei, betonte sie immer wieder, »normal« beziehungsweise »in keiner Weise unnormal«.
    Als ich später meine Runde drehte, fragte ich mich, warum ich das Gefühl hatte, der »Normalität« misstrauen zu müssen.
    Das Entscheidende am Normalen ist ja, dass es überhaupt nicht normal ist: Normalität ist lediglich die veredelte Form handelsüblichen Wahnsinns - das weiß jeder Surrealist. In der Analyse ist »das normale Kind« oft gleichbedeutend mit dem gehorsamen, braven Kind, jenem, das immer nur darauf bedacht ist, den Eltern zu gefallen, und das entwickelt, was Winnicott »falsches Selbst« genannt hat. Laut Henry ist der Gehorsam eines der Probleme dieser Welt und nicht, wie so viele geglaubt haben, deren Lösung. Aber gab es denn keine Definition des Normalen, die dieses nicht mit dem Banalen oder Langweiligen gleichsetzte? Oder die nicht einengend oder absurd pedantisch war?
    Natürlich brachte es meine Arbeit mit sich, dass ich Zeit mit »Durchgeknallten« verbrachte, wie Miriam sie genannt hatte, genauso, wie Mediziner mit kranken Körpern arbeiten. Aber wie Freud sagt und wie meine Erfahrung mich gelehrt hat, gehören meine Patienten keiner Kategorie Mensch an, die von allen anderen getrennt wäre. Verrückt oder gefährlich waren am allerwahrscheinlichsten jene, die nicht um Hilfe nachsuchten. Dabei fiel mir eine Geschichte über Proust ein, der gegen Ende seines Lebens verzweifelt und hektisch die Seiten von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit durchblätterte, weil er merkte, wie exzentrisch, ja wie unnormal seine Protagonisten waren, als könnte ein Roman oder gar eine Gesellschaft aus nichts als langweiligen und angepassten Leuten bestehen. Meine Arbeit mit der »normalen« Frau würde dazu beitragen, sie in eine Dichterin zu verwandeln - sie würde begreifen, was an der Erfahrung, die sie am liebsten als »normal« unter den Teppich gekehrt hätte, zwar verwirrend, zugleich aber auch faszinierend war, selbst wenn sie sich und mich davon zu überzeugen versuchte, dass das »Normale« unantastbar sei.
    Anders als bei dieser »normalen« Frau hat mein Staunen über die Natur und die Vielfalt der menschlichen Lust, des größten aller Probleme, nie nachgelassen. Ich werde von einem Fußfetischisten und zwanghaften Onanisten aufgesucht, der um ein Haar seinen Job verloren hätte, weil er zu viel Zeit auf der Toilette verbrachte; von einigen Männern, die sich als Frauen verkleiden; von einem mächtigen Geschäftsmann, der kein Risiko scheute, um heimlich Frauen durchs Fenster beobachten zu können; von einem Mädchen, das eine Todesangst vor Katzen hat; von einer Patientin, die einen Zusammenbruch erlitt, als sie im Alter von dreißig Jahren zum ersten Mal erfuhr, dass ihre Mutter immer ein Glasauge gehabt hatte; von den sexuell Zügellosen, den Frigiden, den Panischen, den Flatterhaften; von den Missbrauchenden und den Missbrauchten, von Menschen, die sich schneiden, sich fast zu Tode hungern oder ständig übergeben, von den in der Falle Sitzenden und den allzu Freien, den Ausgelaugten und Hyperaktiven und auch von jenen, die sich ihr Leben lang der eigenen Dummheit verschrieben haben. Von allen erfahre ich etwas. Ich bin Assistent eines Autobiographen, Hebamme der Phantasien meiner Patienten, ich reiße ihre Wunden wieder auf, befreie ihre Stimme, lasse das Reden zu Erotik werden, zeige, dass ihre Wahrheiten nur Illusionen sind. Die Analyse verfremdet das Vertraute und konfrontiert uns mit der Frage, wo die Träume enden und wo die Realität beginnt, falls sie überhaupt irgendwo beginnt. Meinen ersten Analytiker, einen Pakistaner namens Tahir Hussein, suchte ich einige Monate nach meinem Examen an der Universität auf, als die Sache mit Ajita mehr als nur merkwürdig geworden war. Ich muss wirklich sagen - ich war in großer Not.
    Ajita und ich waren unserer Wege gegangen, ohne je ein Wiedersehen in Betracht zu ziehen. Wir hatten uns nicht auseinandergelebt; unsere Liebe füreinander hatte sich nie erschöpft, sondern war gewaltsam gekappt worden. Wie ich die Bewunderung vermisste, die sie mir entgegengebracht hatte, ihre Küsse, ihr Lob, ihre Ermunterung und die Art, wie sie »danke, danke« gesagt hatte, wenn sie gekommen war. Von all meinen Frauen war sie auf denkwürdige Art die zärtlichste, verletzlichste und ungehemmteste gewesen. Mit dem dunklen Haar, das ihr über das Gesicht fiel, wenn sie meinen Penis in den

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