Das sag ich dir
modernisieren, war aber immer noch nicht wählbar. Zu diesem Zweck musste man die linken Leitlinien aufgeben. Mein Gott, wie wir alle Thatcher verachteten, aber sie hatte die Nase vorn.
Bitterkeit, Boshaftigkeit und Brutalität der Lokalpolitik erstaunten mich. Selbst hier wurde der Idealismus wie immer und überall als Vorwand für krasse Aggressionen benutzt. Ich verteilte Broschüren in den benachbarten Wohnsiedlungen, und bei den Kommunalwahlen »klopfte« ich an. Manchmal wurden wir in die Wohnungen eingeladen. Solche Orte waren mir in der Stadt noch nie zu Augen gekommen, und ich lernte dabei wirklich etwas für das Leben.
Im Haus hielt ich mich viel in meinem Zimmer auf und las. Ich wechselte kaum ein Wort mit den anderen. Meist hatten wir irgendwelche politischen Besucher. Damals galt die Arbeiterklasse noch nicht als Masse blinder Konsumenten in billigen Klamotten mit irgendwelchen Aufschriften darauf, sondern besaß noch genug Würde, um sich für grundlegende Dinge einzusetzen.
Streikende Bergleute waren bei den Schwulen sehr beliebt; die Lesben bevorzugten die Frauen aus Greenham, die zum Spendensammeln nach London kamen, aber selbstverständlich erst einmal gebadet werden mussten. Wir anderen waren Nicaraguaner. (Mehrere Leute aus unserem Kreis begaben sich nach Managua, um dort mit anzupacken. Auch ich erwog das, nahm aber Abstand davon, als ich hörte, dass es mit sehr viel Schaufelei verbunden sei.) Ich fand es gut, nicht allein zu sein, und mochte das Gefühl, Leute in der Nähe zu haben. Und ich hatte zum allerersten Mal ein eigenes Zimmer, eines, für das ich bezahlen musste.
Nach der Rückkehr von dem Besuch bei unserem Vater in Pakistan hassten Miriam und ich einander, wir hassten alles, und unser Leben schien ruiniert zu sein. Ich hatte nicht nur keinen blassen Schimmer, was ich beruflich tun sollte, sondern auch schwere seelische Probleme.
Mir dämmerte langsam, dass ich geglaubt hatte, der Pakistan-Trip könnte nach der Katastrophe mit Ajita ein Wendepunkt sein. Wenn ich Ajita dort nicht fände - und warum sollte ich? -, würde ich wenigstens meinen Vater finden und mit ihm irgendeine Orientierung, neue Kraft und meine besten Seiten. Doch um das zu verdauen, was Miriam und ich am Ende tatsächlich mitbrachten, brauchten wir Jahre.
Eigentlich hätte ich ahnen müssen, dass ich schließlich irgendwie mit Büchern zu tun haben würde. Ich fand einen eintönigen, aber leichten Job in der British Library. Dort fungierte ich als eine Art Regenwurm mit Armen und holte die Bestellungen der Leser aus den von Büchern gesäumten, kilometerlangen Tunneln, die sich unter Bloomsbury erstreckten. Dort, in den Eingeweiden des tristen Bauwerks, umzingelt von vermoderndem, bedrucktem Papier, verlebte ich meine Tage und stieg gelegentlich zu den lichten Weiten des Lesesaals empor. »Ich bin ein Maulwurf, der durchs Loch / der hunderttausend Bücher kroch!«, sang - oder brummte - ich bei der Arbeit vor mich hin.
Meine Augen und die meiner Arbeitskollegen waren nur noch an das schwache Kunstlicht gewöhnt, und als Bergleute der Bücher hatten wir für die Leser, ihre Wichtigtuerei, ihre Muße und auch ihre Flirtereien nichts als Verachtung übrig. Kapierten sie denn nicht, dass dies eine Bibliothek war? Gut möglich, dass wir etwas seltsam, vielleicht sogar abgedreht waren - wir waren ja die Fußnoten ihres Textkörpers -, aber warum würdigten sie nicht, was wir für sie taten, wir, die wir sie mit Lesestoff versorgten? Ich schob gern gebückt einen Karren in die Tiefen der Erde, in das, was Keats »dunkle Stollen« nannte. Manche meiner Kollegen schufteten seit dreißig Jahren in diesem erstickenden, aber behüteten Tal der Bücher und nisteten in den Wäldern der Folianten. Wenn man sich lebendig begraben lassen wollte, konnte es keinen besseren Ort geben.
Einen der Wissenschaftler, die im Lesesaal arbeiteten - über Coleridge's Notizbuch und die Vorliebe des Dichters für Tausendundeine Nacht -, kannte ich von der Universität. Er hatte einige meiner Freunde unterrichtet. Er ging an Stöcken, und sein Körper war verkümmert und verformt, sowohl durch die Steroide, die er schluckte, als auch durch seine Krankheit. Mittags aßen wir oft in irgendeinem Cafe in Bloomsbury, und einmal machte er mir ein Kompliment für mein langes, üppiges Haar. Ich sagte, ich lasse es nicht wachsen, weil es Mode sei, sondern weil ich es nicht ertrage, auf einem Friseurstuhl zu sitzen und mich anfassen zu lassen.
»Auch
Weitere Kostenlose Bücher