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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Körper mit verbundenen Augen unter hundert Frauen erkennen zu können.
    Ajitas Tante und die Art, wie sie mit ihrem Kopftuch durch das Haus schlich, stellte mich immer wieder vor Rätsel. Wenn ich jünger gewesen wäre, hätte sie wohl irgendwie mit mir kommuniziert. Meine indischen Tanten hatten bei ihren Besuchen in London immer viel Tamtam um mich gemacht, als ich noch klein gewesen war, hatten mich geküsst und ständig an sich gedrückt, jedenfalls mehr als meine Mutter. Mit wem, fragte ich mich, unterhielt sich diese Tante? Ganz bestimmt nicht mit Ajita oder ihrem Bruder. Sie wusch und kochte für die beiden, aber sie aß nicht mit ihnen. Meist hielt sie sich allein in ihrem Zimmer auf und wirkte eher wie eine Dienerin als eine Familienangehörige. Vermutlich glaubte ich schon damals an die Notwendigkeit des Gesprächs. Ja, ich glaubte sogar, dass sie litt, weil sie mit niemandem sprechen konnte.
    Wir schienen ganz allein zu sein. Die Nachbarschaft wirkte verlassen, die Kinder waren in der Schule, die Eltern bei der Arbeit. Wir hörten leise Radio, und ab und zu schauten wir sogar in die Lehrbücher. Davon abgesehen gab es nur den Himmel und das Nachbarhaus. Dieses Haus und das darin lebende Paar hatte ich tagelang vor Augen, ohne es wirklich wahrzunehmen, bis mir schließlich der Gedanke kam, dass mein Leben als Krimineller, sollte es beginnen - und ich war fest davon überzeugt, dass es beginnen würde, weil ich immer noch glaubte, mich vor Wolf und Valentin beweisen und es ihnen gleichtun zu müssen -, dort seinen Anfang nehmen könnte.
    Dann begann ich, Ajita noch mehr Fragen zu stellen. Was ich wissen wollte, war das, was sie nicht preisgab. Ich wollte das erfahren, was angeblich gefährlich für mich war.
    Ungefähr zu jener Zeit - wir waren seit ein paar Monaten zusammen -wurde alles noch merkwürdiger, als es ohnehin schon war, und ich begann zu begreifen, dass ich in etwas hineingeraten war, das ich nie im Leben wirklich verstehen würde.
    Jedem zerreißt es einmal das Herz.
    FÜNF
    »Ein Anruf für Sie, Dr. Khan«, sagte Maria.
    Sie war mein Wachtposten, und um diese Uhrzeit rief sie mich eigentlich nie ans Telefon, außer es handelte sich um den Anruf eines Selbstmordkandidaten, ein Fall, vor dem sich jeder Analytiker fürchtet, mit dem sich aber viele konfrontiert sehen.
    Ich behaupte an dieser Stelle, dass ein Analytiker ohne Haushälterin absolut nutzlos ist; und ohne ein unordentliches Zimmer sowieso. André Breton, der Freud im Jahr 1921 seinen einzigen Besuch abstattete, war bodenlos enttäuscht von diesem großen Mann, dessen Haus er tagelang umschlichen hatte: von Freuds Wohngebäude, von seinem Antiquitäten, seinem Büro, seiner Körpergröße (Bretons Kollege, Tristan Tzara, bezeichnete Freuds Beruf als »Psychobanalyse«). Jacques Lacans Wohnungseinrichtung - der abgetretene Teppich und das phallische Treibholz auf dem Tisch im Wartezimmer - wurde von Besuchern häufig ganz ähnlich beschrieben. Man erwartet einen Zauberer, und was man antrifft, ist nur ein Mensch. Die Analyse ist auf jeden Fall eine Übung in Desillusionierung.
    Wir aßen zu Abend: kalten Lachs, Salat, Brot und Wein. Der Besuch, den Rafi und ich Miriam abgestattet hatten, lag eine Woche zurück. Henry war vorbeigekommen, um zu reden und abgelenkt zu werden. Nun hielt Maria mir das Telefon hin. »Mr Bushy steht vor der Tür.«
    »Ah ja. Danke.« Als ich das Telefon ablegte, sagte ich zu Henry: »Das ist für dich. Bushy hat die Lieferung gebracht, um die du gebeten hast.«
    »Ah. Die Lieferung. Endlich. Wie drückt Baudelaire das aus? >Die Sehnsucht nach dem Unendlichen ...< Her damit!«
    Im Eingangsflur ertönte ein so lautes Scheppern, als würde jemand einen Beutel mit Münzen in ein Metallrohr schütten. Das konnte nicht Bushy sein. Als ehemaliger Einbrecher war er ein leiser Mensch. Nein, es war Miriam höchstpersönlich, und sie hatte zweifellos ihren gesamten Schmuck angelegt, sogar an den Beinen, allerdings ohne die Stäbe, die sie manchmal benutzte. Sie kam hereingerauscht, entledigte sich ihres schwarzen Knittersamtmantels und warf ihn Maria hin, die ihr einen Respekt erwies, wie sie ihn jeder Königin gezollt hätte, die ich bewunderte, ob männlich oder weiblich.
    Miriam hatte sich in mehrere Schichten schimmernder semipsychedelischer Kleidung gehüllt, über der sie ein schwarzes Grufti-Top mit Spinnwebmuster trug. Sie hatte rote und blaue Strähnchen im Haar, alle frisch gefärbt, und die Piercings in ihrem

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