Das sag ich dir
Mund nahm, sah sie aus wie eine von Goya gemalte spanische Schönheit. Sie nannte mich »ihren Hübschen« und behauptete, meine Stimme zu lieben, das, was sie immer als die »Klangnarbe« bezeichnete.
Ich hatte monatelang auf sie gewartet und geglaubt, dass sie eines Tages wieder auftauchen würde. Ich bildete mir ein, sie auf der Straße zu sehen, in abfahrenden Zügen, in Träumen und Albträumen. Wenn ich eine Bar betrat, stellte ich mir vor, sie würde dasitzen und auf mich warten. Ich hörte, wie sie mit ihrer wunderbaren indischen Intonation nach mir rief, hörte ihren Ruf vom Aufwachen bis zum Schlafengehen.
Schließlich erfuhr ich dann die Wahrheit, und diese war deutlich genug: Sie hatte kein Interesse. Sie hatte behauptet, dass sie mich liebe, doch am Ende wollte sie mich nicht. Ihr Vater war tot, und unsere Beziehung war tot; Ajita war von der Bildfläche verschwunden. Ich wollte zwar nicht darüber hinwegkommen, musste es aber versuchen. Inzwischen hatte sie sicher einen anderen Mann, war vielleicht sogar verheiratet. Ich war Geschichte für sie, vermutlich hatte sie mich längst vergessen.
Mit Anfang zwanzig hatte ich auch Mutter verlassen. Mir war schon eine ganze Weile klar gewesen, dass es höchste Zeit war, aus dem Haus und dem Viertel zu verschwinden. Wenn die Vororte die Antwort auf die Frage waren, wie man leben sollte, dann gehörte ich nicht dorthin.
Eine Bekannte an der Uni, die ich in einer nur mit Frauen besetzten Aufführung von Warten auf Godot gecoacht hatte, vermittelte mir ein Zimmer in einem Haus, das sich eine Gruppe weißer Politaktivisten aus der Mittelschicht teilte. Sie waren Zimmermänner, Lehrer, Sozialarbeiter, Feministinnen und radikale Anwälte. Zwei von ihnen wurden Mitglieder des Parlaments, stramme Gefolgsleute Blairs, die im Fernsehen mehrmals den Irakkrieg verteidigten. In den umliegenden Straßen hatten sie ähnliche Häuser eingerichtet. Allerdings konnte ich nicht sofort das Zimmer haben, das ich wollte. Es gab noch andere Bewerber, und diese Politaktivisten waren Demokraten, jedenfalls gelegentlich. Ich musste mich erst einmal ausfragen lassen, wusste aber, dass mir diese Linken das Zimmer sofort geben würden, wenn ich fragte, ob Farbige im Haus wohnten. Das Schuldgefühl schüttelte ihren Körper wie eine Nahrungsmittelvergiftung, und trotz meiner bleichen Haut und der Weißen, die draußen Schlange st anden, war die Sache geritzt.
Im engeren Sinne war es keine Kommune. Jeder hatte sein Zimmer. Kochen und Hausputz wurden nicht gemeinsam erledigt, andere Arbeiten aber schon. Es gab viele Sitzungen und abgedrehtes Geschwafel und Radfahren und Recycling. Neue Poster - Aufbegehren und Überleben! oder das Bild eines Affen im Versuchslabor, begleitet von Broschüren, die für politische Treffen warben - tauchten täglich im Flur auf und außerdem Berge von Holz zur »Neubenutzung«. Wir fuhren oft mit dem Rad in den Wald, die Körbe voll mit Wein und Dope. Einmal konnten es die anderen gar nicht erwarten, sich die Kleider vom Leib zu reißen und in einen verdreckten Tümpel zu springen. Meist war ich gehemmt, doch bei der Gelegenheit machte ich mit.
Fast alle Wochenenden gingen für irgendwelche Anti-AKW-Proteste drauf, und in der Woche fanden in den zugigen Sälen abgewrackter Wohnsiedlungen Versammlungen des Labour-Party-Orts Vereins statt.
Wenn ich dorthin ging, dann nur, weil auch alle anderen hingingen. Ich wollte wissen, was lief. Die Arbeit war ernsthaft. Die alte Garde, die letzten Aufrechten der Arbeiterklasse, Männer, die Pfeife rauchten, unablässig mit kaum verständlichem Akzent sprachen und vielfach persönliche Erinnerungen an Harold Wilson hatten, dazu die Exzentriker, die komischen Käuze, die eindeutig Verrückten und jene, die abends nicht wussten, wohin - sie alle wurden durch meine Bekannten ersetzt.
Bei diesen handelte es sich um junge, clevere Anwälte, Leute vom Wohnungsamt oder Radikale von Provinzuniversitäten. Einige dieser Aktivisten waren tatsächlich Trotzkisten oder Kommunisten und klammerten sich an die Hoffnung, eines Tages zu Ansehen und wahrer Macht zu gelangen. Andere kanalisierten ihren Ehrgeiz in einer Karriere als Politiker. Man wollte die Labour Party weiter nach links verschieben, indem man all jene radikalen Gruppierungen integrierte, die sich während der Siebziger gebildet hatten: Schwule, Schwarze und Feministinnen. Michael Foot wurde zum Parteiführer gewählt, auf ihn folgte Neil Kinnock. Die Partei begann sich zu
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