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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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kenne. »Dort werden sie sich zweifellos«, sagte sie mit tiefer Missbilligung, »den ganzen Nachmittag um die Ohren schlagen.«
    »Gut«, sagte ich, als ich in mein Zimmer ging. »Könnten Sie wohl den Patienten hereinbitten?«

SECHS
    Ein Mann kommt zum Analytiker und sagt: »Bitte, Sir, ich bin völlig verzweifelt. Wenn Sie mich heilen, bekommen Sie mein ganzes Vermögen!« Der Analytiker erwidert: »Ihr Vermögen können Sie behalten. Ich will nur fünfzig Pfund pro Stunde.« Der Mann sagt: »Was? So viel?«, worauf der Analytiker antwortet: »Immerhin kennen Sie den Preis.«
    Unter meinen Patienten sind Geschäftsmänner, Nutten, Künstler, Teenager, Zeitschriftenherausgeber, Schauspieler, PR-Leute, eine achtzigjährige Frau, ein Psychiater, ein Automechaniker, ein Fußballspieler, drei Kinder und andere mehr. Wenn ich einen Patienten an der Tür begrüße, ihm ins Zimmer folge und warte, bis er sich entweder setzt oder sich auf die Couch legt - ich ziehe es vor, wenn die Leute sich hinlegen, denn wie Freud so schön gesagt hat: »Ich lasse mich nur ungern acht Stunden pro Tag anstarren« -, bin ich sehr neugierig darauf, was er mir zu erzählen hat, und mir ist wichtig, dass die Chemie zwischen uns stimmt.
    Was weiß ich denn schon als Therapeut? Verglichen mit den technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten, die der Medizin heute zur Verfügung stehen, ist meine Tätigkeit altmodisch, ja fast kurios. Ich führe zwar keine Untersuchungen durch und verschreibe auch keine Medikamente, bin aber in gewisser Weise ein traditioneller Arzt, weil ich nicht nur die Krankheit, sondern die ganze Person behandele. Streng genommen bin ich das Medikament und ein Bestandteil der Therapie. Nicht dass viele Menschen geheilt werden wollen. Ihre Krankheit ist unerträglich befriedigend für sie. Die Patienten sorgen unbewusst selbst für ihr Elend, und was sie als ihr Symptom bezeichnen, ist in Wahrheit ihr Leben, und das sollten sie besser bejahen!
    Manche Leute würden sich lieber erschießen lassen, als sich zu öffnen. Ich kann nur eines tun, nämlich die betreffende Person über einen langen Zeitraum hinweg reden zu lassen. Dabei müssen wir beide alles ernst nehmen, was gesagt wird, obwohl wir natürlich wissen, dass man selbst dann lügt, wenn man die Wahrheit sagt, und dass man, wenn man über jemand anderen redet, im Grunde von sich selbst spricht. Ich stelle Fragen nach der Familie, bis hinab zu den Großeltern. An wen können sich Leidende heute wenden, wenn der Haushalt ihrer Wünsche gestört ist?
    Was qualifiziert jemanden für den Beruf als Analytiker? Unter dem Strich die menschlichste aller Fähigkeiten, jene, einen rätselhaften Schmerz erkennen zu können und eine gewisse Neugier auf das Innenleben zu entwickeln. Die Analyse ist mühsam, und wie sollte es auch anders sein? Wenn man jahrelang oder gar jahrzehntelang auf eine
    ganz bestimmte Art gelebt hat und dann versucht, das Ruder durch Reden herumzureißen, ist das Knochenarbeit. Nicht, dass es immer funktioniert; dafür gibt es keine Garantie, und es darf auch keine geben. Es bleibt immer ein Risiko.
    Leider sorgt die Psychoanalyse zum Erstaunen vieler weder dafür, dass sich die Menschen besser benehmen, noch dafür, dass sie moralisch integer bleiben. Ganz im Gegenteil - oft macht die Analyse die Menschen noch unerträglicher, noch streitbarer und noch fordernder, schärft das Bewusstsein für eigene Wünsche und sorgt dafür, dass man sich nicht mehr so leicht von anderen beherrschen lässt. In diesem Sinne ist sie subversiv. Allerdings gibt es nur eine kleine Minderheit von Menschen, die sich im Alter wünschen, ein tugendhafteres Leben geführt zu haben. Nach allem, was mir in meinem Behandlungszimmer zu Ohren kommt, wünschen sich die meisten, sie hätten mehr gesündigt. (Sie wünschen sich auch, ihre Zähne besser gepflegt zu haben.)
    Ich wurde von einer klugen, gutsituierten, intelligenten Frau aufgesucht. Sie saß nicht auf dem Rand der Couch, wie es nervösere Patienten tun, sondern lehnte sich zurück und sprach mit mir, als wäre ich jemand, der sich bei ihr um einen Job beworben hatte. Sie erzählte mir ein bisschen über ihre Lebenssituation und sagte dann, sie sei gekommen, weil ihr Mann »gerade Probleme« bei seiner Arbeit habe. (Viele Leute kommen wegen Problemen, die irgendwie mit ihrer Arbeit zusammenhängen. Ihre emotionalen und sexuellen Probleme enthüllen sie erst später.) Sie glaubte nicht, eine Mitverantwortung an seiner

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