Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
Vom Netzwerk:
nicht von einer Frau?«
    »Hm ... ja - schon gar nicht von einer Frau.«
    »Haben Sie denn keine Freundin?«, fragte er.
    »Ich hatte eine. Aber sie ist verschwunden, und sie wird nicht zurückkehren. Obwohl ich das lange geglaubt habe. Nein, sie kehrt wohl tatsächlich nie zurück.«
    »Die Frauen finden Sie bestimmt attraktiv. Wenn ich aussehen würde wie Sie, würde ich nicht den ganzen Tag in der Bibliothek hocken. Ich sitze dort nur, weil ich nicht gut gehen kann. Mein kaputter Körper geht langsam vor die Hunde.«
    »Bibliotheken sind sexuell aufgeladene Orte«, sagte ich. »Das liegt an der Stille - am Geflüster. Die Leser merken nicht, dass wir sie beobachten, aber wir wissen, was los ist. Wir bekommen mit, wer mit wem das Gebäude verlässt, und wir unterhalten uns darüber. Aber sagen Sie mir trotzdem, was Sie stattdessen tun würden.«
    »Die Sau rauslassen natürlich«, sagte er. »In meinem Zustand fassen mich nur Prostituierte an. Sie haben das nicht nötig. Ich bin mir sogar sicher, dass manche Frauen Sie bezahlen würden.« Er sprach eine Weile über sich und seine eigenen Probleme. Schließlich sagte er: »Haben Sie noch andere Symptome?«
    »Symptome?«
    »Seelische Zustände, die es Ihnen unmöglich machen, ein relativ normales Leben zu führen.«
    Ich erklärte ihm, dass ich manchmal wie angewurzelt auf der Straße stehen blieb, unfähig, mich zu bewegen, weder vor noch zurück. Kürzlich hatte ich eine Stunde lang an einem Fleck gestanden - festgenagelt, gelähmt, wie tot. Ich hatte immer wieder den gleichen Werbespruch gelesen und war zu spät zur Arbeit gekommen. Und wenn ich in Bewegung war, ertappte ich mich oft dabei, dass ich die Leute in Gedanken anbrüllte. Ich hätte sie am liebsten verdroschen oder wäre gern verprügelt worden.
    Meist spielte sich dieser Wahnsinn nur in meinem Kopf ab, doch im Bus stieß ich Mitfahrende weg, und in einem Pub bekam ich eine gelangt. Nicht mehr lange, und ich wäre einer jener Verrückten geworden, die an Bushaltestellen mit sich selbst murmelten und herumschrien. Ich konnte nicht mehr so lange arbeiten und schloss mich nach Feierabend in meinem Zimmer ein, weil ich glaubte - oder auch nicht glaubte -, dass man draußen meine Gedanken lesen konnte, dass mein Kopf so durchsichtig sei wie ein Goldfischglas.
    Wie in solchen Fällen üblich, erhaschte ich abends aus den Augenwinkeln Blicke auf Ratten, Vögel und Alligatoren; in meinen Träumen tanzten Bären mit mir und fickten mich in den Arsch; man stopfte mir lebende Hühner hinten unter das Hemd.
    Eines Tages stellte ich fest, dass ich nicht mehr gehen konnte. Ein Rückenwirbel war perforiert. Ich wurde operiert, teilte eine Krankenstation mit den Amputierten und lernte wieder zu laufen. Selbst auf dem denkbar niedrigsten Niveau wurde mein Leben immer beschwerlicher.
    Am quälendsten war das Gefühl, dass meine Erlebnisse nicht von dieser Welt waren, sondern sich in einer jenseitigen Welt oder in einer Leere abspielten. Was ich durchlitt, lässt sich nicht beschreiben. Die inneren Stimmen des Hasses pochten immer wieder an meine Tür wie Untote, die Frieden mit mir schließen wollten, obwohl das unmöglich war. Wenn ich so krank war und immer kränker wurde - und so war es meiner Ansicht nach -, wie sollte ich dann je ein brauchbares Leben führen?
    Mein Freund sagte: »Unseren Gesprächen entnehme ich, dass Ihnen die Kunst des Modernismus am besten gefällt, die Erkundung extremer Geistesverfassungen, von Neurosen und Psychosen. Ich habe mein Leben mit den gleichen Büchern verbracht, aber Kafka oder Bruno Schulz zu lesen bringt einen irgendwann nicht mehr weiter. Sie werden in den Büchern Charaktere finden, die Ihnen ähneln. Aber Sie werden sich nur dann wirklich in einem Buch wiederfinden, wenn Sie selbst eines schreiben. In den Büchern suchen Sie am falschen Ort. Um eine Metapher zu gebrauchen: Aus einem verriegelten Zimmer können Sie nur mit dem passenden Schlüssel entkommen.«
    »Was oder wer ist dieser Schlüssel?«, schrie ich fast. »Haben Sie ihn in der Tasche? Schließen Sie auf!«
    Er erwiderte, der Schlüssel könnte dieser Mann sein, Tahir Hussein.
    Am nächsten Tag besorgte er mir Husseins Telefonnummer und fügte hinzu, dass man viel über ihn rede. Ich erwiderte, über mich würden auch viele Leute reden, aber ich war ja paranoid. Ich hatte keine Ahnung, wer über Tahir Hussein redete. Vermutlich eine kleine literarische, weltstädtische Elite von Leuten, die gemeinsam die

Weitere Kostenlose Bücher