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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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und Krämer wußten insgesamt weitaus mehr über Mustafas Auszahlungen an seine Truppen und die Moral der Männer als die meisten seiner Hauptleute.
    Auf diese Weise erfuhr Tannhäuser, daß im Augenblick die Insel von etwas über dreißigtausend Gazi des Sultans besetzt war und daß zudem noch einmal mehr als dreißigtausend in den Arbeitsbataillonen als Pioniere, Ruderer und Hilfstruppen aktiv waren. Ebenso brachte er heraus, daß mindestens weitere zehntausend Soldaten von verschiedenen Piraten und nordafrikanischen Verbündeten dazustoßen würden. Hassem, der Vizekönig von Algerien, war mit sechstausend algerischen Elitesoldaten von der Berberküste aufgebrochen. El Louk Ali, der Gouverneur von Alexandria, sollte ein Corps ägyptischer Pioniere und Mamelucken-Truppen beisteuern. Der große Torghoud Rais, das »Gezogene Schwert des Islam«, war mit einem Dutzend Galeeren und zweitausend kampferprobten Korsaren unterwegs.
    Die Neuigkeiten, die er brachte, waren für La Valette so wertvoll, daß Tannhäuser sich den Zugang zu Oliver Starkey verdiente, den sonst nur die sieben Prioren der Sprachen ständig genossen. Bei der Rückkehr von seinen Erkundungen achtete er immer darauf, ein kleines Geschenk für die Wachen am Kalkara-Tor mitzubringen – Honig, ein gutes Stück Lammfleisch, Pfeffer und Muskatblüte, süße Kuchen mit Mandeln und Rosinen – und sie zu ihrer Meinung über den Feldzug zu befragen und ihnen eine Neuigkeit von der türkischen Front mitzuteilen. Das gab ihnen ein Gefühl der Wichtigkeit und gewann ihm ihr Vertrauen, das er eines Tages brauchen würde. Sein Ruf wurde dadurch auf allen Ebenen der Ordenshierarchie gefestigt, und da die kämpfenden Truppen kaum etwas lieber taten, als über ihre Taten zu reden, verbreitete sich die Kunde über ihn schon bald auch auf alle anderen. Dieser Vorgang wurde noch beschleunigt, als Tannhäuser bei seinem ersten einsamen Erkundungsgang in der Nacht des 21. Mai nach dem ersten Waffengang einen dramatischen Erfolg erzielte.An jenem Abend hatte Mustafa Pascha seinen Kriegsrat zusammengerufen, an dem der Kapudan Pascha Piali, der Hochadmiral der Flotte, und alle seine Generäle teilnahmen. Bei diesem Treffen war auch ein Mitglied der Leibgarde des Sultans anwesend, ein Jüngling aus Mazedonien von bemerkenswerter Schönheit, der als Christ geboren war. Nach Beendigung des Kriegsrats geriet Tannhäuser zufällig mit diesem jungen Griechen ins Gespräch.
    Lagerfeuer flackerten in der Dunkelheit auf der Marsa-Ebene, und in der Ferne hörten er und der junge Mann Trommeln, Pfeifen und die dröhnenden Stimmen der janitscharischen Dichter, die ihre Geschichten deklamierten. Sie brieten wilden Knoblauch auf der Spitze ihrer Messer über dem Feuer, erzählten von ihrer Heimat, von ihren Reisen und der Familie, die sie dort zurückgelassen hatten. Sie sprachen über die Kämpfe, die sie noch erwarteten, und über den furchterregenden Ruf des Ritterordens. Nach einer Stunde gab Tannhäuser dem jungen Mann mit gespieltem Zögern, das aber die gute Kameradschaft überwunden hatte, einen »Stein der Unsterblichkeit«, von denen er einige in einem Kästchen aus Perlmutt mit sich trug.
    Tannhäuser hatte von diesen Steinen von Petrus Grubenius erfahren, der seinerseits in Salzburg beim großen Paracelsus gelernt hatte. Tannhäuser hatte eigentlich nur eine vage Vorstellung von der echten Rezeptur der Alchemisten, aber seine eigene Mischung funktionierte erstaunlich gut. In der Küche der Herberge von England rollte er Pillen aus rohem Opium und marinierte sie über Nacht in einem Gemisch aus Zitrusöl, Branntwein und Honig. Am nächsten Tag puderte er sie mit feinem Goldstaub ein, den er von einem venezianischen Dukaten abschabte, und ließ sie in der Sonne hart werden. Welchen Beitrag das Gold zu ihrer Wirkung leistete, wußte er nicht, doch es verlieh den Steinen im Feuerschein oder im Tageslicht einen unwiderstehlichen Reiz und unterstützte ihn beträchtlich, wenn er die wundersamen Kräfte dieser Kügelchen anpries. Tannhäuser zeigte dem jungen Mann die goldgelb gesprenkelte Pille in seiner hohlen Hand.
    »In der Ewigkeit«, sagte er ihm, »gibt es keinen Schmerz.«
    Die Augen des Mazedoniers verrieten ihm, daß er bereits mehr als seinen Teil an Schmerzen erlebt hatte.
    »Auch keine Furcht, keine Wut, keine Begierde, nicht einmal mehr einen Willen«, fuhr Tannhäuser fort, »denn in der Ewigkeit sind alle Menschen Teil des göttlichen Wissens, so wie ein

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