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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Schiffen aus Stambul hergebrachthatte. Ein unaufhörlicher Strom von Kamelen und Ochsenwagen schleppte sich hin und her zwischen dem türkischen Lager und Marsaxlokk, dem natürlichen Hafen im Süden der Insel, wo die Armada des Sultans vor Anker gegangen war. Hier sah Tannhäuser das Verwaltungsgenie der Osmanen am Werk, das hinter ihrer Vorherrschaft steckte. Hunderte von Versorgungsschiffen und Galeeren entluden Hunderttausende Zentner von Gerste, Mehl und Reis, Eisen, Kupfer, Blei und Zinn, Honig, Butter, Schiffszwieback, Öl, Zitronen und gesalzenem Fisch, ganze Herden von Schafen und Rindern, Feuerholz und Balken für den Bau und Reisig, Möbel für die Pavillons und Zelte, ungeheure Mengen von Schießpulver, die riesigen, vier und fünf Tonnen schweren Belagerungsgeschütze, Silber- und Goldmünzen für den Sold, Eis für das Scherbett der Generäle. Bei diesem Unternehmen war jede Unze genau gewogen und berechnet, es war ein Triumph hervorragenden logistischen Überblicks und feinster Planung.
    Tannhäuser wünschte nur, auch Sabato Svi könnte es sehen. Tausend »Orakel« hätten in tausend Jahren nicht annähernd eine solche Großtat zustande gebracht. Tannhäuser hielt sich für einen ungewöhnlich findigen Burschen, ja sogar für wagemutig, aber vor diesem Beweis für die Waghalsigkeit Suleimans fühlte er sich wie ein unbedeutender Zwerg. In diesem äußersten aller Glücksspiele so viele Leben, ein solches Vermögen aufs Spiel zu setzen, das war eine beinahe schon wahnsinnige Tat, die Tannhäusers eigene Herausforderungen des Schicksals ziemlich zaghaft erscheinen ließ. Suleiman Schah war wirklich der König der Könige, und doch war es ja dieses Glücksspiel, das dem Leben die Würze gab und den Menschen den Krieg immer wieder als eine erstrebenswerte Beschäftigung erscheinen ließ.
    So vom Beispiel Suleimans ermutigt, ritt Tannhäuser durch den nicht abreißenden Strom, in feine grüne Gewänder gekleidet, mit einem weißen Turban auf dem Kopf und einem diskret verzierten Krummsäbel. Buraq, der mit seinem goldenen Fell und asiatischen Blut viel Bewunderung erregte, vervollständigte die Maskerade.
    Die Düfte, Farben und Klänge, die verfeinerte Präzision derosmanischen Maschinerie, all das weckte in Tannhäuser mehr als nur Erinnerungen. Jenseits der Festungsmauern von Birgu gehörte Malta bereits zum Reich des Sultans, und es beschwor in ihm eine Lebensart wieder herauf, eine Art zu fühlen, wahrzunehmen, zu gehen, zu reden und zu lachen, die bis ins Mark mit ihm verschmolzen war. Wie jeder Mann, der in eine Welt zurücckehrt, deren Teil er einst war, die er aber verlassen hat, verspürte er einen süßen Schmerz im Herzen, am bittersten, als eine Orta von Janitscharen vorbeimarschierte, mit ihren hohen weißen Borks und neun Handbreit langen Musketen und ihrem kriegerischen Gehabe. Doch selbst wenn ab und zu Zweifel sein Herz beschlichen, so blieb doch sein klarer Verstand ungetrübt. Bei den Janitscharen war er ein Kullar gewesen, ein Sklave des Sultans, hatte Gebete vor einem gesichtslosen, monströsen Götzenbild deklamiert und in blindem Gehorsam für eine raffgierige Rasse getötet, die nicht einmal die seine war. Nun war er ein freier Mann. Alle Narrheiten, in die er sich nun verstricken mochte, hatte er selbst gewählt und selbst erdacht.
    Da sich die Zivilverwaltung und Kaufmannschaft der Osmanen hauptsächlich aus zum Islam bekehrten Christen zusammensetzte, erregten seine helle Haut und seine blauen Augen keinerlei Argwohn. Da Tannhäuser mit großer Gelehrsamkeit über die Probleme feuchten Schießpulvers, den Muskatpreis, die Qualität von Stahl und die ewige Ungeduld der Militärs zu reden vermochte und da er sich mit völliger Geläufigkeit in ihre täglichen Gebete einordnete, stellte niemand seine Identität in Frage. Er verschenkte diskret Gold und Opium, als wollte er sich zukünftige Gunst sichern, in Wirklichkeit aber tat er es, um die Zungen zu lösen. Gelegentlich legte er, um seine Überlegenheit über Quartiermeister und Händler zu demonstrieren, wie durch eine zufällige Geste das Rad der Janitscharen oder das Zulfikar -Schwert des Islam frei, die ihm auf beide Arme tätowiert waren, und dann erbleichten sie respektvoll und zogen völlig andere Saiten auf. Tannhäuser mied die Begegnung mit den Offizieren und Männern im Lager, weil dort eine geringe Möglichkeit bestand,daß man ihn erkennen könnte. Ohnehin strömten alle Gerüchte durch den Basar, und die Händler

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