Das Sakrament
Wassertropfen Teil des weiten blauen Meeres ist. So werden wir frei, so werden wir wieder heil und ganz, und so kehren wir zum Urgrund und zur Quelle allen Seins zurück.«
Er legte dem jungen Mann die golden-schwarze Pille in die Hand, als wäre es eine Hostie.
»Diese Steine der Unsterblichkeit eröffnen dir ein Fenster auf dieses überirdische Reich. Sie lassen dich einen kleinen Blick auf das erhaschen, was sein könnte, wenn du als reiner Geist existieren könntest – von dem unendlichen Frieden, der uns erwartet, wenn wir von den Fesseln unserer Sterblichkeit befreit sind.«
Obwohl er die Versuchung verspürte, sich dieses Vergnügen auch zu gönnen, gab Tannhäuser nur vor, einen der Steine in den Mund zu stecken, während der Makedonier seinen schluckte. Er hieß Nicodemus und war achtzehn Jahre alt. Tannhäuser wies ihn an, in die Flammen des Feuers zu schauen, an dem sie im Schneidersitz hockten. Schweigend verbrachten sie eine weitere Stunde miteinander. Derweil Tannhäuser sich um das Feuer kümmerte, fiel Nicodemus unter den geheimnisvollen Zauber des Steines. Als Tannhäuser sah, wie der junge Mann nach seinem ureigenen inneren Rhythmus hin und her schwankte, deutete er auf das Feuer.
»Im Tanz des Windes mit den Flammen«, erklärte er, »und in der Verwandlung des Holzes in Hitze und Licht und schließlich in Asche und Staub sehen wir ein Gleichnis – oder, wie die Alten es gesagt hätten, einen Mikrokosmos – nicht nur unseres Lebens, sondern des Chaos, in das eines Tages die ganze Schöpfung fallen wird.«
Nicodemus starrte ihn an, als sei er wirklich ein großer Weiser.
»Du verstehst«, sagte Tannhäuser und wußte, daß es wenig ausmachte, ob das stimmte oder nicht. Nicodemus nickte. SeineAugen funkelten im Feuerschein, die Pupillen waren nur noch so groß wie Stecknadeln. »Gut«, sagte Tannhäuser. »Jetzt schauen wir zu, wie das Feuer niederbrennt, und lassen uns davon Mut für die Gefahren geben, die noch auf uns warten.«
Sie beobachteten das Feuer. Schließlich sackte es in rotglühender Glut zusammen und lag zuckend in der Nacht vor ihnen wie das herausgerissene Herz eines Höllenuntiers. Zu diesem Zeitpunkt hatte Nicodemus einen Ort erreicht, von dem alle Trostlosigkeit auf immer verbannt war. In diesem stummen ekstatischen Zustand lud ihn Tannhäuser auf Buraq und stahl sich mit ihm davon nach Birgu.
Bors hatte lange Ausschau gehalten und auf Tannhäusers Rückkehr gewartet, und er sorgte dafür, daß niemand auf die beiden schoß, als sie sich dem Deckungswall und der kleinen Pforte des Kalkara-Tores näherten. Für Nicodemus, den Tannhäuser durch die engen Straßen der Stadt und über die breite hölzerne Brücke zum Kastell St. Angelo führte, war es eine seltsame Rückbekehrung und Wiedergeburt, doch darum nicht weniger wirklich. Die Stadt war überreich geziert mit Kruzifixen, Ikonen und Heiligenschreinen, vor vielen brannten Weihrauch und Votivkerzen, und Nicodemus begann sich vor jedem zu bekreuzigen. Die ernsten Mienen und die fromme Haltung der Ritter, die ihnen entlang des Weges begegneten und die sie durch ein Labyrinth voller flackernder Fackeln zum Arbeitszimmer des Großmeisters geleiteten, erfüllten ihn mit Ehrfurcht, genau wie das Symbol Christi, das überall auf ihren Umhängen und Gewändern zu sehen war. Obwohl Mitternacht schon vorüber war, besprach sich La Valette immer noch mit seinen wichtigsten Stützen. Als er vor ihm stand, fiel Nicodemus auf die Knie, als sei er ein lebender Heiliger, beteuerte seine Liebe zu Jesus Christus und flehte den Großmeister an, ihn wieder zu taufen und in die Herde des Gotteslammes aufzunehmen.
Als La Valette erfuhr, daß der Name des Jünglings Nicodemus war, zog er eine Augenbraue in die Höhe, und die anderen Ordensbrüder murmelten untereinander, weil anscheinend im Johannesevangeliumeine Person dieses Namens von einiger Bedeutung vorgekommen war, die tatsächlich auch mit Johannes dem Täufer selbst gesprochen hatte. Tannhäuser mochte das nicht sonderlich bemerkenswert finden, denn schließlich hatten ja alle, er eingeschlossen, irgendeinen Namen aus der Bibel, doch den Ordensbrüdern erschien es als ein Zeichen für Gottes Gunst, so daß sie Nicodemus seine Bitte nur zu gern gewährten. Die Kapläne sollten geholt und seine Seele sollte neu geboren werden. Nicodemus erzählte ihnen alles, was beim letzten türkischen Kriegsrat besprochen worden war: Nachdem der Angriff auf die Bastion der Kastilier
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