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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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zurückgeschlagen worden war, herrschte in Mustafa Paschas Lager Uneinigkeit, was Tannhäuser nicht überraschte. Wenn die Türken eine Schwäche hatten, dann war es die, daß das Heer auf einem Feldzug, der nicht vom Sultan persönlich angeführt wurde, von den ständigen Eifersüchteleien, Rivalitäten und Intrigen der verschiedenen Befehlshaber geplagt wurde. Mustafa hatte sich dafür verwendet, die im Norden liegende Stadt Mdina einzunehmen – wo La Valette seine Kavallerie unter dem Befehl von Copier stationiert hatte –, ehe man die Belagerung von L’Isla und Birgu in Angriff nahm. Admiral Piali hatte jedoch darauf bestanden, daß seine Armada an ihrem gegenwärtigen Ankerplatz in Marsaxlokk nicht sicher war, da sie dort, wie er irrtümlich glaubte, den Gregale-Winden ausgesetzt wäre.
    Piali war der Eroberer von Oran, Minorca und Jerba. Er war mit Suleimans Enkelin verheiratet und der Liebling des Sultans. Piali hatte sich dafür eingesetzt, zunächst die Festung St. Elmo als ersten Schritt des Feldzuges zu erobern. Damit würde sich im angrenzenden Marsamxett ein sicherer, geschützter Ankerplatz für die türkische Flotte ergeben. Mehr noch, die Eroberung der Festung würde ihnen erlauben, vom Großhafen aus St. Angelo und Birgu mit dem Feuer der Schiffskanonen zu bestreichen. Da der Oberingenieur der Türken ihnen auch bestätigt hatte, die winzige Festung sei schwach und werde in weniger als einer Woche fallen, hatte der Kriegsrat beschlossen, sich beim nächsten Angriff auf St. Elmo zu konzentrieren.
    Nicodemus’ Bericht sorgte für einige Verwunderung. In St. Elmo waren an die achthundert Mann stationiert, beste Truppen, ein Drittel aller ausgebildeten Soldaten und Ritter, die La Valette zur Verfügung standen. Man brachte Argumente vor, die Festung zu evakuieren und zu zerstören, vielleicht nur einige wenige Leute dazulassen, die um der Ehre willen einen Anschein von Widerstand leisten sollten, oder die Festung unverzüglich zu verstärken. Doch daß die Festung fallen würde, stellte niemand in Frage.
    La Valette wandte sich an Tannhäuser: »Hauptmann Tannhäuser, was sagt Ihr dazu?«
    Tannhäuser schniefte. »Ist eine Woche Widerstand das äußerste, was Eure Leute erreichen können?«
    Einige der adeligen Ordensritter murrten beleidigt, aber La Valette hieß sie schweigen.
    Tannhäuser fuhr fort. »Wenn das so ist, dann evakuiert die Festung. Sonst schenkt sie Mustafa nur einen Sieg, mit dem er das Blut seiner Gazi in Wallung bringen kann – und das solltet Ihr besser vermeiden.«
    La Valette nickte, als spiegelte dies seine eigene Meinung wider. »Sagt mir aber, wie viele Tage Widerstand würden aus diesem Sieg eine Demütigung machen?«
    »Eine Demütigung würden sie nie zulassen. Würde Euch Bestürzung reichen?«
    »Bestürzung reicht.«
    Tannhäuser dachte nach. Neben vielen anderen Fertigkeiten erforderte der Krieg höchste Vollendung in den Künsten der Mathematik, der Weissagung und des Ergründens menschlicher Gedanken. Zeit, Material, Männer, Moral, Leichen. Das war eine Rechnung, an die man sich nur wagen durfte, wenn man sich mit ganzem Herzen hineinstürzte.
    Tannhäuser überlegte sich ein Ziel, das er für unmöglich hielt. »Drei Wochen.«
    La Valette spitzte die Lippen und blickte auf. Tannhäuser, der ihn beobachtete, erinnerte sich, daß eine der Prüfungen, die La Valette hatte durchstehen müssen, die Belagerung von Rhodosgewesen war. Selbst vier Jahrzehnte danach war bei den Janitscharen die Urgewalt und Wildheit von Rhodos eine Legende. In Rhodos, sagten sie, waren die ausgehungerten Überreste des Ritterordens aus den Schneelöchern aufgetaucht wie teuflische Wesen, deren einzige Nahrung Menschenblut war. La Valette hatte ein Höllenbild vor Augen, das nur er kannte, und senkte den Blick wieder.
    Er sagte: »Dann sollen es einundzwanzig Tage sein.«
    Ehe jemand einen Einspruch gegen diese prahlerische Behauptung einlegen konnte, ergriff Le Mas die Gelegenheit. »Euer Exzellenz, meine Männer und ich sind bereit, Euch beim Wort zu nehmen. Wir bitten um den Ehrenposten!«
    Der Ehrenposten war der Posten, der einem den sicheren Tod brachte. Tannhäuser spürte, wie sich ihm der Hals zuschnürte. Er mochte Le Mas, mit dem er im »Orakel« einige wilde und ganz und gar nicht mönchische Nächte verbracht hatte. Während die verschiedenen Zungen darin wetteiferten, sich freiwillig zu melden, unterdrückte Tannhäuser einen plötzlichen Impuls, sich zu ihnen zu gesellen.

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