Das Sakrament
versucht hatte. Sein Aussehen und Geruch deuteten darauf hin, daß er das Gebäude nur selten verließ. Er verneigte sich, als bereitete ihm diese Bewegung Rückenschmerzen. Er starrte Tannhäuser auf die Brust, mied seinen Blick. Seltsame Herren haben seltsame Diener, überlegte Tannhäuser und fragte sich, was ihn wohl im Inneren des Hauses erwartete.
»Hauptmann Tannhäuser«, sagte er. »Für Don Ignacio.«
Der Verwalter führte ihn durch einen Flur, in dem das Licht der Lampe auf Familienporträts und Gemälde von Märtyrern fiel, keines von ihnen offenbar von sonderlichem künstlerischem Wert. Sie kamen an einer unbeleuchteten Treppe und einer Reihe von verschlossenen Türen vorüber. Die Läufer unter ihren Füßen waren mottenzerfressen, das Mobiliar so düster und schwer wie das Gebäude selbst. Man fühlte sich wie in einem Mausoleum, in dem ein Traum von verlorener Größe begraben lag. Hier war also Carla aufgewachsen, in dieser dunklen, alles erstickenden Grabstatt provinzieller Frömmelei. Tannhäuser stellte sich vor, wie ihr jugendlicher Geist in einem solchen Gefängnis um seine Freiheit kämpfen mußte. Er verspürte Mitleid mit dem Mädchen, das sie einmal gewesen war, und verstand nun um so besser die Zurückhaltung, die sie als Frau so auszeichnete. Tannhäuser war nicht überrascht, daß sie niemals zurückgekehrt war, und seine zärtlichen Gefühle für sie vertieften sich noch. Er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß Don Ignacio seiner Tochter einen Gefallen getan hatte, als er sie ins Exil verbannte, wie grausam diese Tat auch gewesen sein mochte.
Der Verwalter öffnete eine lackierte Flügeltür und trat zur Seite, ohne Tannhäuser anzukündigen. Die Luft, die aus dem Zimmer drang, war stickig und roch faulig. Tannhäuser schaute den Diener an. Obwohl der Mann damit vertraut sein mußte, verriet das Gesicht des Verwalters, daß er mit einem kaum zu unterdrückenden Ekelgefühl ringen mußte. Er verneigte sich und deutete an, daß Tannhäuser allein eintreten sollte.
Im Schein des lodernden Kaminfeuers stand ein tiefer Armsessel mit einem Fußbänkchen. Darin saß ein alter Mann, dessen Schädel kahl und leichenblaß war. Er war in einen pelzgefütterten Morgenmantel gehüllt, der braun im Licht des Feuers schimmerte. Die rechte Seite des Rocks glänzte speichelfeucht, wenn Tannhäuser auch nicht ausmachen konnte, ob aus dem blutleeren Schlitz seines Mundes oder aus der ungeheuren nässenden Wunde, die seine Lippen verzerrte und sich bis auf seine rechte Wange ausdehnte. Auchder weiße Bart des Mannes war verklebt. Der Körper im Morgenmantel war verdorrt wie eine Pflanze, und die bleichen Hände, die aus den Ärmeln hervorlugten, waren mit großen braunen Flecken übersät. Die Augen, die ihn musterten, waren schwarz, die Iris gelb gerändert. Tannhäuser konnte nicht ausmachen, wieviel der alte Mann tatsächlich sah, ahnte aber, daß es nicht viel mehr als der verschwommene Feuerschein sein konnte. Das war also Don Ignacio Manduca. Tannhäuser schätzte, daß es entschieden zu früh wäre, sich als künftiger Schwiegersohn vorzustellen.
»Laßt Euch von meiner Krankheit nicht abschrecken«, sagte Don Ignacio. Er sprach Italienisch mit dem Akzent der Insel. Seine Stimme schwankte nicht, das letzte Anzeichen einer Kraft, die sich nur noch mit einem Faden ans Leben klammerte. »Sie wurde mir von Gott als Strafe für meine Sünden geschickt. Wenn ich mich gegen Sein Urteil auflehnen würde, würde ich der Gnade des Fegefeuers verlustig gehen, und daher bitte ich Euch, mein Los genau wie ich anzunehmen.«
Tannhäuser trat näher und schaute sich die Wunde noch einmal an. Es war ein tiefer Krater mit violetten Rändern und einem nässenden Grund und erstreckte sich vom Rand des Ohrs bis zu einem Nasenflügel und von der Schläfe bis zum Kinn. Geschwülste wölbten darunter den Hals, als läge dort ein Nest Wachteleier unter der Haut verborgen.
Tannhäuser sagte: »Nur eitle Menschen fürchten die Häßlichkeit des Fleisches, Don Ignacio. Von allen Lastern geziemt die Eitelkeit einem Mann am wenigsten.«
»Gut gesprochen, Hauptmann Tannhäuser.« Er blinzelte. »Das klingt mir wie ein Kriegsname, wenn ich das anmerken darf.«
»Ihr habt den Instinkt eines Abenteurers«, erwiderte Tannhäuser.
»Eines Abenteurers?« Don Ignacio nickte und schnitt eine Grimasse, die Tannhäuser als ein Lächeln deutete. »Ja, wenn man es auch nicht denken würde, wenn man mich heute so sieht.
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