Das Sakrament
jemand versuchte, einem einen Dolch in den Rücken zu rammen. Es war die härteste Arbeit, die je erdacht worden war, und Orlandu war in seinem kurzen Leben wahrlich gewohnt zu schuften. Manchmal einigten sich zwei völlig erschöpfte Krieger aus feindlichen Lagern mitten im Zweikampf darauf, eine Pause einzulegen, lehnten sich auf ihre Speere wie auf Schaufeln, während sie wieder zu Atem kamen. Dann nickten sie und droschen wieder aufeinander ein, bis der eine oder der andere gefallen war.
Der erste Angriff dieses Tages wurde von Wilden geführt: Es waren Feinde, die sich in die Felle von Leoparden, Wölfen und wilden Hunden gekleidet hatten, deren vergoldete Helme in der Sonne blitzten und die ihrem Leben keinerlei Wert beimaßen. Iayalaren nannte Tannhäuser sie. Sie kauten Haschisch, rauchten Hanf und sangen die ganze Nacht hindurch ihre Lieder, um ihre Wut anzustacheln. Manche griffen sogar splitternackt an, ihr Gemächt baumelte ihnen auf den Oberschenkeln. Sie kletterten mit Steigeisen und Sturmleitern an den Mauern hinauf, wo sie von den Hakenbüchsen und dem Längsfeuer der Kanonen erwartet wurden.
Als die traurigen Überreste dieser Truppe sich den Berghang hinauf zurückzogen, stürmte heulend eine Gruppe von Derwischen auf die Festung zu. Nach ihnen preschte die Infanterie der Azebs heran, und aus dem blendenden Licht der Mittagssonne stürzten sich die Janitscharen zum schrillen Klang ihrer Trommeln in den Kampf. Immer und immer wieder fluteten sie in gewaltigen Wellen den Berg hinunter und die Böschungen hinauf, um die Mauern zu erklimmen. Jedesmal wurden sie zurückgeschlagen.
Es war alles völlig sinnlos.
Tannhäuser hatte sich entschieden, die harte Prüfung der vordersten Linie zu meiden, indem er seine Fertigkeiten als Scharfschütze ins Spiel brachte. Neben seinem Radschloßgewehr hatte er noch eine türkische Muskete mit einem sieben Hand breiten Lauf von dem großen Haufen erbeuteter Waffen genommen. Orlandu lud die Muskete, und Tannhäuser schlich hinter den Pikenmännern auf den Wällen herum und wütete schrecklich unter Mustafas Männern. Ein halbes Dutzend Male zielte er mit einem Schuß auf den Pascha selbst, der Seite an Seite mit Torghoud Rais dieses ganze wahnsinnige Schauspiel vom Ravelin aus dirigierte. Doch Allahs Hand mußte schützend über dem runzeligen alten Befehlshaber gelegen haben, denn obwohl Tannhäuser drei Leibwachen zu Mustafas Füßen hinstreckte, konnte er den Pascha selbst nicht treffen.
Orlandu schaffte es kaum, die Muskete, einen zehn Pfund schweren Sack mit Kugeln und eine schwere Pulverflasche zu schleppen; es war aber weit aus ehrenvoller, als eine Wanne mit Brei hinter sich herzuziehen. Das Laden und Abfeuern einer Muskete brauchte zweiundzwanzig Einzelschritte. Einundzwanzig davon waren ihm allein anvertraut. Wenn sie unter Beschuß gerieten, wurde das Spiel zum Alptraum. Wenn das Gewehr nicht zündete, schämte der Junge sich. Wenn er es überladen oder doppelt geladen hatte und der Rückstoß Tannhäuser beinahe vom Wehrgang schleuderte, erntete er Flüche und Nasenstüber. Der überhitzte Gewehrlauf verbrannte ihm die Handflächen. Funken spritzten hinter seinen Brustharnisch. Schwarzpulver brannte ihm in den Augen. Manchmal ertappte er sich dabei, wie er weinte, weil ihm die Pulverflasche aus den Fingern geglitten war. Er durfte nicht selbst schießen, weil man keinen kostbaren Schuß Pulver verschenken durfte. Trotz der Wutanfälle, die Orlandu nicht unterdrücken konnte, half ihm Tannhäuser durch den Tag. Er lobte ihn gelegentlich oder gab ihm einen Ratschlag, oder er klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken oder lächelte ihn an.
Ein Wirbel von Menschen umtoste den ganzen Tag die bröckelnden Mauern der Festung. Schließlich beugten sich die MoslemsAllahs Willen und zogen sich zurück. Die Verteidiger knieten neben ihren Waffen nieder und priesen Christus. Orlandu hatte für seinen Heiland keinen Atemzug mehr übrig. Er sackte, die Muskete noch über dem Schoß, an einer Zinnenzacke zusammen und fiel sofort in Tiefschlaf. Ehe er träumen konnte, riß ihn eine Hand hoch und hielt ihn fest, während er wieder zu Sinnen kam. Tannhäuser barg die beiden langen Gewehre in seinen Armen.
»Komm, Junge«, sagte er. »Leiste mir beim Essen Gesellschaft.«
Am Abend verfiel Tannhäuser in tiefe Melancholie und sprach nur wenig. Sobald er seine Mahlzeit beendet hatte, schlief Orlandu da ein, wo er saß. Ein Instinkt weckte ihn in den frühen
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