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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Morgenstunden, und er sah Tannhäusers lange Silhouette über den vom Mond erleuchteten Festungshof gehen. Der Schlaf lockte Orlandu zurück, und sein schmerzender Leib flehte ihn an, diesem Ruf zu folgen, doch eine noch stärkere Macht zog ihn auf die Beine, und er folgte Tannhäuser.
    Orlandu holte Mattias an der Tür zur Werkstatt des Waffenschmiedes ein. Tannhäuser trug einen Helm und eine Laterne und schien erfreut, ihn zu sehen. Keiner sprach ein Wort, als sie in die Werkstatt traten. Tannhäuser hielt inne und atmete tief ein: den Geruch von Säcken und Bärentalg, von Asche, Glut und Kohle. Orlandu beobachtete, wie er zur Esse ging, die Lampe und den Helm absetzte und in der Asche nach einem Rest von Glut suchte. Daraus lockte er Flammen hervor, und er gebot Orlandu, den Blasebalg zu betätigen, und zeigte ihm, wie man den Koks hinzufügte und das Kohlenbett bereitete. Wieder einmal erstarrte Orlandu beinahe vor Ehrfurcht über Tannhäusers Fertigkeiten und spürte, wie unwissend er selbst war. Tannhäuser nahm das weiche Futter aus dem Helm und legte das Metall auf die Kohlen. Zusammen beobachteten sie, wie sich der Stahl allmählich verfärbte.
    »Als ich so alt war wie du«, sagte Tannhäuser, »wollte ich Schmied werden und hielt dieses Handwerk für die großartigste Kunst der Welt.« Er zuckte die Achseln. »Zweifellos hatte ich recht, aber es sollte nicht so kommen. Ich habe das bißchen Kunstfertigkeit, das ich hatte, längst wieder verloren, doch es beruhigtmich, wenn ich ab und zu ein Pferd beschlage oder ein Stück Metall im Feuer bearbeite. Schau dir an, wie sich die Farbe verändert!« Er deutete auf die Glut. »Hol mir den Schlosserhammer da drüben.«
    Tannhäuser packte den Helm mit der Zange, legte den erhitzten Teil über den Amboß und machte sich daran, das Metall vier Zoll von der Krone zu bearbeiten.
    »Nachdem ich meinen eigenen Helm gestern abend im Hafen verloren hatte, konnte ich keinen anderen finden, der mir paßt.« Er blickte vom Amboß auf. »Du bist ein guter Schwimmer.«
    Orlandu errötete vor Freude. »Ich könnte es Euch beibringen.«
    Tannhäuser lächelte und hämmerte weiter. »Das glaube ich gern, aber nicht in der Zeit, die uns hier noch bleibt. Könntest du über die Bucht nach St. Angelo schwimmen, wie es die Boten machen?«
    »O ja, leicht.« Das war zwar ein wenig geprahlt, aber er konnte es schaffen.
    Tannhäuser legte den Helm wieder auf die Kohlen und betätigte den Blasebalg,
    »Dann mußt du es machen. Noch heute nacht.«
    Orlandu starrte ihn an. Die wilden blauen Augen blickten sehr ernst. Ihm wurde übel, wenn er auch nicht wußte, warum. Er schüttelte den Kopf.
    »Ich befehle es dir«, sagte Tannhäuser.
    Orlandu spürte einen Druck in der Brust, dem er nicht widerstehen konnte. Er sagte: »Nein.«
    »Hast du immer noch nicht genug von der Schlacht?«
    »Ich diene Euch«, sagte Orlandu und trat einen Schritt zurück.
    »Das ist ein guter Anfang. Die erste Regel beim Dienen lautet, Gehorsam zu zeigen.«
    »Ich bin kein Feigling.«
    »Nichts ist offensichtlicher. Trotzdem mußt du gehen.«
    »Trotzdem gehe ich nicht.«
    »Dann bist du kein guter Soldat.«
    Diese Worte schienen eine Beleidigung zu sein, und dochsprach Tannhäuser sie voller Anerkennung aus. Er brachte den glühenden Stahl wieder zum Amboß und sagte eine Weile lang nichts, versenkte sich ganz in seine Arbeit, während er die soeben geschlagene Ausbuchtung im Umfang des Helms vergrößerte und den von der Hitze matt angelaufenen Stahl zum Rand hin weitete. Orlandu betete, daß Tannhäuser ihn nicht von seiner Seite verbannen würde. Die Aussicht, ihn verlassen zu müssen, erfüllte ihn mit einem so großen Schrecken, daß ihm speiübel wurde. Nichts, was er verspürt hatte, seit er durch den Laufgraben gekrochen war, kam auch nur entfernt an den Schrecken heran, den er nun fühlte. Er beobachtete Tannhäusers Hände, war fasziniert von den Schlägen des Hammers und dem allmählichen Nachgeben eines Metalls, das nicht nachgeben sollte.
    »Man braucht Erde und Wasser, Feuer und Wind, um Stahl zu machen«, erklärte Tannhäuser. »Mein Vater hat mir erklärt, daß Gott die Menschen aus den gleichen Rohstoffen geschaffen hat, nur in einer anderen Zusammensetzung. Genauso wie bei den Menschen entscheiden die Anteile jedes einzelnen Stoffes über die Eigenschaften des Stahls. Dieser Helm muß hart sein und trotzdem biegsam bleiben. Deswegen benutzen wir nur eine sanfte Hitze. Ein Schwert muß

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