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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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biegsam sein, ohne zu zerbrechen, und ein Gewehrlauf muß die Explosionen aushalten, die in seinem Inneren entfesselt werden. Für diese Stähle muß man also immer andere Techniken und Zusammensetzungen benutzen, je nach ihrem Verwendungszweck. Verstehst du das?«
    Tannhäuser schaute ihn an, und Orlandu nickte und bedauerte wieder einmal, wie wenig er wußte, wenn ihn auch der Gedanke an solche wunderbaren Geheimnisse erregte. Seine Furcht verflog.
    Tannhäuser fuhr fort: »Diese Rätsel zu lösen – wie man unter unendlich vielen möglichen Zusammensetzungen diejenigen finden kann, die für einen bestimmten Zweck am besten geeignet sind – all das hat Jahrtausende gedauert, wurde immer vom Vater auf den Sohn weitergereicht, vom Meister auf den Schüler. Jeder hat, wenn er Glück hatte, ein bißchen mehr gewußt als sein Vorgänger.Und so sollte es auch sein, wenn die Elemente verschmolzen werden, die das Wesen eines Menschen ausmachen. Das Wissen ist da, wenn wir nur zuhören würden. Doch wenn die Menschen ihren eigenen Charakter schmieden, sind sie störrisch und eitel, und sie schenken ihren eigenen Neigungen immer mehr Glauben als dem Rat, den ihnen weise Menschen geben.«
    Tannhäuser warf ihm ein Lächeln zu, das ihn verstörte.
    »Doch wie störrisch die Männer auch immer sein können – es ist kaum zu glauben, aber kleine Jungen können noch störrischer sein.«
    Orlandu trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Die Panik überkam ihn erneut, als er begriff, daß dieses Streitgespräch keineswegs vorüber war. Er versuchte das Thema zu wechseln. »Wo ist Euer Vater?« fragte er mit übertriebener Neugier.
    Tannhäuser mußte über dieses durchsichtige Manöver lachen. Er legte den vom Feuer geschwärzten Helm auf die Kohlen und nahm einen leichteren Hammer zur Hand.
    »Mein Vater ist weit weg, und ich bete, daß sein Seelenfriede kaum je durch einen trüben Gedanken gestört wird. So leicht jedoch entkommst du mir nicht, Orlandu. Ich bin nur aus einem einzigen Grund in diese Jauchegrube gekommen, und das war nicht, um zu sterben – für Jesus Christus, Johannes den Täufer, den Orden oder sonstwen. Ich bin hergekommen, um dich wieder nach Birgu zurückzubringen.«
    »Meinetwegen seid Ihr gekommen?« fragte Orlandu.
    Tannhäuser nickte.
    »Warum?«
    »Die Frage habe ich mir auch schon oft gestellt, und ich habe viele verschiedene Antworten darauf gefunden, aber keine davon hat mich zufriedengestellt. Irgendwann einmal ist das Warum nicht mehr wichtig. Heute sind De Medran und Pepe du Ruvo gefallen. Miranda hat eine Kugel in der Brust. Le Mas ist vom griechischen Feuer verbrannt worden. Du schwimmst nach Birgu zurück. Wenn du es nicht tun willst, weil ich es dir befehle, dann tue es, weil ich dich darum bitte. Geh in die Herberge vonEngland! Da kannst du Bors und Contessa Carla dienen, bis ich zurückkomme.«
    »Aber wie werdet Ihr zurückkommen? Die Boote sind heute nacht wieder alle zerstört worden, und – Ihr könnt nicht schwimmen.«
    Tannhäuser zog den Helm aus dem Feuer, runzelte die Stirn und tauchte ihn zum Abkühlen in die Asche. »Ich habe meine eigenen Methoden, wie ich hier herauskomme. Jetzt tu, was ich dir sage. Geh!«
    Orlandu spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Die Traurigkeit schnürte ihm den Hals mit größerer Gewalt zu, als er es je erlebt hatte. Er würde Tannhäuser auf immer und ewig verlieren. Ohne Tannhäuser gab es – ja, was gab es dann noch? Trotz der Erschöpfung und des Wahnsinns waren diese wenigen Tage in Tannhäusers Gesellschaft die kostbarsten seines Lebens gewesen. Vor Tannhäuser war nichts gewesen. Orlandu konnte sich nur noch an eine große Leere erinnern. In diese Leere zurückkehren zu müssen, das erschien ihm schlimmer als der Tod. Tannhäuser nahm ihn bei den Schultern und beugte sich so weit herunter, daß sie auf gleicher Höhe waren. Die Augen, die ihn so kameradschaftlich angeschaut hatten, starrten ihn nun aus umschatteten Höhlen an.
    »Ich brauche dich in Birgu. Hier ist kein Platz für dich! Ich möchte dich nicht hier haben!« Tannhäuser schob ihn weg und wandte sich wieder zur Esse. »Jetzt geh!«
    Orlandu unterdrückte seine Tränen. Nun erfüllte ihn eine wilde Wut. Er wandte sich um und rannte aus der Waffenschmiede und über den Festungshof. Schluchzer entrangen sich seiner Kehle. Er rannte weiter über den Hof und durch das Ausfalltor und die Steintreppe hinunter zum Kai. Ein paar Wachen dösten auf den Stufen. Sie

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