Das Sakrament
schauten ihm mit jener Teilnahmslosigkeit nach, die mit völliger Erschöpfung einhergeht. Orlandu holte tief Luft, stand da und starrte ins Wasser.
Ein einziger Gedanke tauchte aus dem Aufruhr in seinem Inneren auf. Er zog Stiefel, Hose und Hemd aus. Er sprang in den Hafen. Er wußte noch, wo die Stelle war. Beim vierten Anlaufstreiften seine Finger auf dem Hafengrund in zwölf Fuß Tiefe dagegen, als ihm gerade die Luft auszugehen drohte. Mit leeren Händen kam er keuchend wieder an die Oberfläche. Beim nächsten Tauchgang fand er ihn und kletterte mit Tannhäusers Helm in der Hand wieder auf die Kaimauer.
Er saß da und hielt den Helm auf dem Schoß. Wenn er schon fortgehen mußte, dann konnte er wenigstens etwas tun, um Tannhäuser ein Lächeln zu entlocken. Während er den Stahl polierte, bis er im Mondlicht glänzte, begriff er plötzlich etwas, das ihn in Aufruhr versetzte.
Er – Orlandu – war der Junge, den die Contessa gesucht hatte.
Und Tannhäuser war in ihrem Sold. Er machte sich nichts aus dem Orden. Oder aus Christus. Oder aus ihm. Orlandu war für ihn nur eine Ware, die er verkaufen und weiterreichen konnte. Wieder stieg die Wut in Orlandu auf. Er war nichts, wie seit eh und je dem Willen anderer unterworfen.
Der Junge zerrte sich die Hose und seine zu großen Stiefel über. Als er den Schall des Hammers hörte, begriff er, daß er wieder in der Waffenschmiede war, wenn er sich auch nicht erinnern konnte, wie er hergekommen war. Er war völlig außer Atem, nicht vom Laufen, sondern vor Wut. Tannhäuser blickte vom Amboß auf, sah sein Gesicht und hielt inne.
Orlandu warf ihm den Helm hin. Er kämpfte gegen das Brennen in den Augen an. Er sagte: »Ich diene Euch nicht mehr. Und ich bleibe hier, weil ich frei bin, und ich werde wie ein Mann für den Orden sterben.«
Er wartete nicht auf eine Antwort. Seine Wut verebbte bereits, und an ihrer Stelle breitete sich eine schreckliche Sehnsucht aus, von Tannhäuser in den Arm genommen zu werden. Er rannte fort, um der Verwirrung zu entkommen. Draußen lehnte er sich an eine Mauer, schlang die Arme um die Knie und versuchte, wieder so zu werden, wie er gewesen war, ehe all dies geschehen war, ehe Tannhäuser ihn mit einer Handbewegung zu sich gewinkt hatte, über das Feld der Toten hinweg. Contessa Carla seine Mutter? Er mochte es kaum glauben. Seine Mutter war eine Hure!Boccanera hatte ihm das tausend Mal gesagt. Auf der anderen Seite des Festungshofes gingen die Ritter in die Kapelle, als die Dämmerung hereinbrach. Wieder hörte Orlandu Tannhäusers Hämmern und fühlte sich völlig verlassen.
Agoustin Vigneron blieb vor ihm stehen. Er schaute zu ihm herunter.
»Komm mit in die Kapelle, Junge«, sagte Vigneron. »Heute ist Dreifaltigkeitssonntag.«
F RONLEICHNAM , D ONNERSTAG , 21. J UNI 1565
In Birgu – In St. Elmo
Die Dunkelheit vor der Morgendämmerung schien völlig undurchdringlich, das Zwielicht noch finsterer. Als die Sonne endlich aufging, wirkte sie blaß und matt. Oder vielleicht, dachte Carla, war es nur der Zauberspruch, den Tausende von ernsten Herzen verhängt hatten, als sie versuchten, ihre Lebensgeister für dieses von Verhängnis überschattete Fest zu wecken. Mit großen Schwierigkeiten weckte sie Amparo und kleidete sie an wie ein Kind, denn auch ihre Gefährtin war in finsterste Melancholie verfallen und erhob sich kaum noch aus dem Bett. Bors ließ sich ebenfalls nicht leicht aus seinem von Opium und Schnaps vertieften Schlummer reißen, einem Zustand, den er herbeiführte, um seine Angst, nicht etwa seine Schmerzen zu betäuben. Carlas eigene Angst, ihre Mitschuld an der Katastrophe, die über Tannhäuser hereingebrochen war, machte ihr mehr als genug zu schaffen, aber jemand mußte trotzdem die Kunde von der Liebe Christi verbreiten, und sie hatte das Gefühl, daß sie mit diesem Auftrag gesegnet war. Sie nahm Bors einen heiligen Eid ab, daß er dafür sorgen würde, daß Amparo in der Prozession mitging, weil das vielleicht für sie eine Inspiration sein würde. Dann ging sie fort, um – ganz schwarz gekleidet – ihren Platz einzunehmen.
Pater Lazaro hatte Carla eingeladen, sich in der Prozession den Brüdern vom Hospital und den Verwundeten anzuschließen, die noch laufen konnten. Ohne es beabsichtigt zu haben, war sie auf der Krankenstation eine hoch verehrte Person geworden. Die verstümmelten Krieger sehnten sich nach ihren Gebeten und ihrer Gesellschaft. In den finstersten Stunden der Nacht riefen sie ihren
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