Das Sakrament
Verwundeten überwältigt.
Fra Lazaro übertrug Carla die Aufgabe, die Verwundeten zu entkleidenund zu waschen, ehe sie zu den Chirurgen gebracht wurden. Carla mußte glühendheiße Rüstungen aufschnallen, blutverkrustete Kleidung von klaffenden Wunden entfernen, Stiefel von zerschmetterten Füßen schneiden. Zum Waschen schleppte man Wannen voller Meerwasser vom Hafen hinauf. Wenn die Verletzten vor Schmerzen schrien, was häufig vorkam, fühlte Carla sich wie ein Folterknecht. Sie biß die Zähne zusammen und vermied den Blick in Augen, in denen sich ungeheures Leiden spiegelte.
Früh senkte sich die Dunkelheit über das Hospital, und im flackernden Schein der Lampen und Kerzen war der Tod noch gegenwärtiger. Nun schienen auch die Schatten zu schreien, die vom Licht an die Wand geworfen wurden. Carla gab sich alle erdenkliche Mühe. Sie versuchte, ganz auf den Grund ihres Mutes und ihres Glaubens herabzutauchen, aber der Augenblick kam, da sie begriff, daß sie fliehen mußte. Mit dem letzten Rest von Selbstbeherrschung versprach sie sich, daß sie zumindest nicht rennen würde. Sie würde den blutigen Waschlappen in den Eimer werfen und sich davonschleichen. Niemand würde sie sehen. Sie würde vorsichtig zur Tür gehen, dann an denen vorbei, die im Vorraum lagen, und dann würde sie den Torbogen und die Piazza erreichen. Erst dann würde sie sich gestatten loszulaufen. San Lorenzo lockte, der Schrein von Philermo und der alles verzeihende Blick Unserer Lieben Frau. In Ihrer Umarmung würde sie gewiß ein wenig Erleichterung finden – und wenn nicht Erleichterung, dann wenigstens die Gesellschaft einer Frau, die alle Schmerzen kannte.
Carla ließ das blutige Tuch in einen Eimer fallen und machte sich auf den Weg zur Tür. Sie durchquerte den im Schatten liegenden Vorraum. Sie hörte, wie jemand ihren Namen rief. Oder war es eine innere Stimme? Carla blieb nicht stehen. Nun ragte schon der steinerne Torbogen über ihr auf. Noch lag ein wenig Tageslicht auf der Piazza. Carla erstarrte, als sie sah, was jenseits des Tores lag.
Verstümmelte Leiber übersäten die gesamte Piazza. Der Kreuzgang zu ihrer Linken und Rechten wimmelte von unzähligen Verletzten. Männer, Frauen, Jungen. Maltesische Soldaten. Spanier. Zivilisten. Alle lagen ausgestreckt auf den Steinen. Schwestern,Mütter und Ehefrauen knieten neben ihren Liebsten, wedelten die Fliegenschwärme fort, fächelten ihnen in der Hitze Kühlung zu. Kapläne in schwarzen Kutten schlurften hin und her, ebenso die jüdischen Ärzte, die immer noch nicht in den heiligen Hallen des Hospitals geduldet waren, trotz der unzähligen Leben, die sie gerettet hatten. Im trostlosen roten Schein der Abendsonne wirkte dieses Schauspiel, als sei der Tag des Jüngsten Gerichtes gekommen und diese vom Krieg gezeichneten Büßer hätten sich in Massen zum Tor zur Ewigkeit geschleppt, um ihre Sünden zu beichten und Gott um Gnade anzuflehen.
Fassungslos stand Carla da. Was auch immer sie für das Überleben dieser Menschen tun könnte, würde nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Und wozu? Wer sich erholt und genug Kraft gesammelt hatte, wurde wieder ins Feuer zurückgeworfen. Sicherlich erlitten die Moslems jenseits der Mauern ähnliche Schmerzen. Das Leid schnürte Carla die Brust zusammen. Ihr Herz raste, als wollte es sich aus ihrem Leib losreißen und sie zu all den anderen auf dem Boden niederstrecken. Einen Augenblick lang sehnte sie dieses Ende herbei. Endlich die Bürde abstreifen zu können, daß sie in dieser Menge von Verwundeten der einzige unversehrte Mensch war. Endlich nicht mehr diesen Stein den Berg hinaufwälzen zu müssen.
Eine Hand krallte sich plötzlich in ihr blutgetränktes Gewand. Ein junger Mann, der kaum zwanzig Jahre alt sein konnte, lag zu ihren Füßen. Seine Wangen und Augen wirkten hohl im Dämmerlicht. Er blutete aus einer schweren Wunde am Bauch. Carla kniff die Augen zusammen, weil ihr die Tränen hineinschossen. Sie wandte sich von diesem unbekannten Jüngling ab, der nie wieder seine Liebste umarmen, nie wieder die Luft eines hellen, strahlenden Morgens atmen würde. Verschwommen sah sie ihren Weg über die Piazza. Durch den Tränenschleier hindurch schien es gar nicht weit zu sein. Unsere Liebe Frau von Philermo würde ihr vergeben. Sie, die mit angesehen hatte, wie ihr Sohn gegeißelt und auf einem Hügel in den Tod getrieben wurde. Carla machte einen Schritt auf die Piazza zu. Es war gar nicht so weit.
Sie spürte, wie die
Weitere Kostenlose Bücher