Das Sakrament
dann lebte auch Orlandu, denn Tannhäuser war sein Schutz und Schild. Carla liebte sie alle beide ohne jede Bedingung. Das war alles, was sie in dieser Welt des Hasses tun konnte. Inmitten von so viel Tod zu überdauern, das konnte doch nur ein Beweis für die Liebe sein. Ihre Liebe. Lazaros Liebe. Die Liebe eines namenlosen Soldaten. Die Liebe Jesu Christi.
Carla erhob sich von dem harten Feldbett und kehrte wieder in die Hölle des Hospitals zurück, und sie betete, daß Christi Liebe sie letztlich alle heilen würde.
Es würde weitere Angriffe geben. Carla wußte, daß unter all den törichten Hoffnungen, die sie hegte, die törichteste war, daß die Kämpfer einfach ihre Waffen niederlegen würden. Mustafa, hieß es, sei höchst erzürnt über jeden Mißerfolg, und man erwartete schon bald den nächsten türkischen Schlag. An einem halben Dutzend Stellen bröckelten die Mauern von Birgu und L’Isla. Jeder, der nur einen Stein schleppen oder eine Schaufel halten konnte, schuftete nun neben den Sklaven, um die Schäden auszubessern und neue Brustwehren und Barrikaden zu bauen.
Die Vorräte des Hospitals an Arzneien und Material, die zu Beginn der Belagerung unerschöpflich erschienen waren, gingen nun zur Neige. Im Heilkräutergarten hatte man längst jedes Blättchen und jedes Blütenblatt geerntet. Ungeheure Ballen von Verbandszeug und Mull waren aufgebraucht, und nun mußten die Dienerbrüder alte Verbände einsammeln, um sie zu waschen und dann wiederzuverwenden. Jedes größere Haus in der Stadt war als Unterkunft für die weniger ernsthaft Verwundeten requiriert worden.
Bei allem Unglück hatte ein Mann, der im Keller seines Hauses einen Unterstand graben wollte, zufällig eine Quelle gefunden, aus der täglich erhebliche Mengen frisches Wasser sprudelten. Dieser Fund, der als ein Wunder betrachtet und gefeiert wurde, hatte das dringendste Problem der Stadt gelöst. Der einzige Makelwar der gewalttätige Disput darüber, ob man der heiligen Agathe, der heiligen Katharina oder dem heiligen Paulus dafür zu danken habe.
Was immer als nächstes kam – Carla würde es ertragen. Sie hatte den Frieden entdeckt, der einen ergriff, wenn man von unendlichem Leid umgeben war. Es war ein seltsamer, ein schrecklicher Friede, ein Friede, den sie niemandem wünschen würde, denn den Preis dafür bezahlten die Opfer dieses Krieges. In ihrer Verletzlichkeit und Hilflosigkeit fiel jegliche Boshaftigkeit von ihnen ab, und sie gewannen eine längst verloren geglaubte kindliche Unschuld wieder. Die Wunden schienen den innersten Kern der Menschen freizulegen, wie sonst nichts es vermochte, und dort zeigte sich etwas Wunderbares und Edles. Kranke waren wirklich näher bei Gott, und Carla hatte gelernt, den Frieden anzunehmen, den sie ihr als Christi Geschenk brachten. Das gleiche Geschenk, das Er selbst am Kreuz versprochen und mit Seinem eigenen trostlosen Leiden bezahlt hatte. Ohne jedes Bedauern hatte sie ihren Stolz geopfert. Ihre eigenen Ängste und Sorgen erschienen ihr kleinlich, und doch verschwanden sie nicht ganz. Als Carla zur Herberge ging, dachte sie an Amparo und überlegte, ob ihre Freundin dort auf sie warten würde.
Mitunter lag Amparo zusammengerollt im Bett, und dann legte Carla sich neben sie und nahm sie in die Arme. So begann der Tag mit etwas, das beinahe Glück war. Manchmal sah Carla das Mädchen tagelang nicht. Sie erfuhr dann, daß Amparo am Ufer schlief oder im Stall bei Buraq, dem sie sich mit Hingabe widmete. Bei jeder ihrer Begegnungen schien sich ihre Freundin ein wenig mehr in das ungezähmte Wesen zurückverwandelt zu haben, das Carla damals stumm auf dem Waldboden gefunden hatte. Amparo spielte mit den Kindern, als wäre sie kaum älter als sie. Sie las den Leuten aus der Hand und aß Brot und Oliven mit den furchterregenden spanischen Tercios , die ihre Freundschaft als eine Art Zauber gegen alles Unglück zu betrachten schienen. Sie ging nicht mehr in die Kirche, außer wenn Carla sie um Begleitung bat. Viele in der Stadt hielten sie für einfältig, aber niemand wagte es,ihr etwas anzutun oder auch nur in unfreundlichem Ton von ihr zu sprechen, denn Bors hatte überall herumerzählt, daß er ihr Beschützer sei. In einer Welt, in der alles kopf stand, war Amparo so sicher, wie sonst kaum jemand sein konnte.
Carla dachte an Ludovico. Es war beinahe ein Monat vergangen, seit sie von seiner Rückkehr erfahren hatte. Bors hatte ihn bei seiner Ankunft gesehen und sie gewarnt. Dann hatte
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