Das Sakrament
war ihr Ludovico wie ein wildes Wesen vorgekommen, das sich aus freiem Willen selbst mit den Ketten seiner Berufung gefesselt hatte – mit Ketten, die sie hatte durchbrechen können. Indem sie seine Fesseln sprengte, hatte sie geglaubt, auch ihre ablegen zu können, denn war nicht die Freiheit das erste und strahlendste Versprechen der Liebe? Sie hatten einander im Schatten tiefer Täler geliebt. Sie hatten sich in den Höhlen und Tempeln längst verschwundener Stämme geliebt, bei der heidnischen Statue der großen Steinmutter im Tempel von Hal Saflieni, im glitzernd schimmernden Licht der Blauen Grotte, und zum liebevollen Klang der Wellen hatte er ihr Blüten ins Haar geflochten. Und doch hatte die Liebe ihr Versprechen der Freiheit nicht eingelöst.Vielmehr hatte Carla sich in dieser Zeit einen Käfig geschmiedet, den Käfig, der alles war, was ihr noch blieb, nachdem Ludovico verschwunden war.
Von der anderen Seite des Zimmers schaute Ludovico sie noch immer an.
Erinnerte er sich an das gleiche schwindelnde Gefühl der Freiheit, als die Leidenschaft sie unsterblich gemacht und alle Furcht verbannt hatte? Carla mußte einen Moment lang die Augen schließen, um diese Gedanken zurückzudrängen und seinen Zauber zu brechen. Dieser Mann, den sie geliebt und dem sie einen Sohn geboren hatte, hatte Folter und Tod für Tausende von Menschen in Gang gesetzt. Er war die finstere Hand des Papstes. Was sie auch immer zu ihm sagen würde – sie würde sich nur in ein Netz spinnen und sich darin verstricken. Trotzdem verlangte es sie danach, ihm ihr Herz auszuschütten, ihm von ihrer Suche nach dem Jungen – ihrem gemeinsamen Jungen – zu erzählen und von allem, was sie verloren hatte und was sie wieder heil machen könnte. Doch genau darauf legte er es ja an! Carla schlug die Augen auf. Immer noch beobachtete er sie.
»Bitte«, sagte sie. »Geht! Oder ich rufe Bors.«
Ungerührt musterte Ludovico das Zimmer. Er schaute auf das Bett, auf die mit Messing beschlagene Seekiste, die Fenster, durch die eine Brise hereinströmte, auf den Wascheimer, die Kommode und ihre Garderobe, die an Haken hing. Seine Augen verweilten kurz auf dem bauchigen braunen Lederkasten mit der Gambe, die vernachlässigt in der Ecke stand. Auf einem Schreibtisch, an den sie sich nie gesetzt hatte, lagen Papiere, ein Tintenfaß, ein Stapel Manuskripte und Bücher. Davor stand ein einzelner Stuhl. Ludovico ging dorthin. Kurz überflog er die Papiere. Dann drehte er den Stuhl zu ihr um und setzte sich vorsichtig hin. Die Rosenkranzperlen klirrten in seinem Schoß.
»Das Zimmer gehört Fra Starkey«, sagte er.
Seine Stimme drang ihr bis ins Mark. Er sprach ruhig, ohne jede Eile und vermittelte in einem Atemzug Trost und gleichzeitig Bedrohung.
»Dies ist das Privatgemach einer Dame«, erwiderte sie und versuchte, ihm die gleiche unerschütterliche Stärke entgegenzubringen. »Mein Gemach. Euer Eindringen, ohne Einladung und wie ein Dieb in der Nacht, ist ein Skandal. Vielleicht sogar ein Verbrechen, selbst in diesen barbarischen Zeiten.«
Ludovico deutete mit dem Kopf auf ihre Gambe. »Ich freue mich, daß Ihr immer noch spielt.«
»Ihr zwingt mich, unhöflich zu sein. Geht!«
»Carla«, sagte er. Aus seinem Mund hörte sich ihr Name wie eine Liebkosung an. »Viele lange Jahre sind vergangen, und wir sind viele Pfade gegangen, seit wir einander zuletzt gesehen haben. Der Tag morgen wird blutig, und im Diesseits ist mir vielleicht keine weitere Gelegenheit gewährt, Euch zu sehen.«
»Jetzt habt Ihr mich gesehen, und nun bitte ich Euch noch einmal zu gehen.«
»Ich habe mich sehr darum bemüht, einen wohlbedachten Abstand zwischen uns zu lassen. Der göttliche Wille hat es anders gefügt.«
»Ihr habt mich mit vorgehaltener Pistole entführen lassen«, entgegnete sie, »und sicher hat Euch nicht der göttliche Wille dazu bewegt, die Treppe zu meinem Zimmer hinaufzusteigen.«
»Im Kloster vom Heiligen Grab wäret Ihr in Sicherheit gewesen. Nun schwebt Ihr in größter Gefahr, seit Ihr hierher nach Malta zurückgekehrt seid.«
Sie sagte: »Kaum je in größerer Gefahr als jetzt.«
»Wie könnt Ihr glauben, daß ich Euch ein Leid antun würde?« fragte er.
»Weil Ihr ein Ungeheuer seid.«
Ludovico senkte den Kopf, so daß sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Einen Augenblick lang beugte er die Schultern, als wäre die Herkuleslast, die auf ihm ruhte, plötzlich zuviel für ihn. Dann richtete er sich auf und schaute sie unter dunklen
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