Das Sakrament
hatte. Sie fragte sich, was ihr wohl entgegenblicken würde, wenn sie das nächste Mal in einen Spiegel schaute. Ihr Aussehen schien ihr nicht mehr wichtig zu sein, doch vielleicht irrte sie sich. Vielleicht war es ihr Aussehen, das, wie Mattias vermutet hatte, den Männern Mut zum Leben schenkte.
Carla schlüpfte in ein weißes Nachthemd, das vom vielen Waschen im Meerwasser grau und beinahe schon durchscheinend geworden war. Sie ließ ihr Haar herunter und genoß eine Weile das Vergnügen, ihre Locken zu bürsten. Nachdem man die neue Quelle entdeckt hatte, hatte Lazaro ihr eine Tinktur aus dem Trester von Weißwein, aus Honig und einem Auszug von Scharbockskraut zubereitet. Sie hatte sich dieses Mittel in die Kopfhaut einmassiert und dort vierundzwanzig Stunden einwirken lassen, ehe sie das Haar mit Gerstenwasser wusch und mit frischem Wasser ausspülte. Nun fühlte sich ihr Haar weicher an als je zuvor. Lazaro hatte erwähnt, daß er im Begriff war, eine weitere Lotionherzustellen, die aus Ochsengalle, Kreuzkümmel und wildem Safran bereitet wurde und sechs Wochen ziehen mußte, dann aber das Blond ihres Haares hervorheben würde. Vielleicht sollte sie sich doch noch einen Spiegel besorgen. Bors könnte sicherlich im Handumdrehen einen auftreiben, und er würde ihr keine Vorhaltungen wegen ihrer Eitelkeit machen.
Eine Kanone donnerte durch die Nacht – vom Monte Corradino, überlegte Carla. Sie hatte sich inzwischen an die verschiedenen Geschützstellungen und ihre Positionen gewöhnt. Das Ziel dieses Angriffes müßte dann L’Isla sein. Richtig: Kein dröhnendes Surren einer sich nähernden Kanonenkugel war zu hören, auch kein dumpfer Aufprall. Morgen würden die Türken angreifen, hatte Lazaro gesagt, aber diese Prophezeiung hatte sie auch in den vier Tagen zuvor gehört. Carla legte ihre Bürste beiseite. Zeit zum Schlafen. Als sie sich dem Bett zuwandte, stand jemand auf der anderen Seite des nur schwach erleuchteten Zimmers: Ludovico.
Er hatte die Tür lautlos hinter sich geschlossen. Wäre sonst jemand so plötzlich erschienen, wäre Carla erschreckt zusammengezuckt. Nun aber war sie ganz ruhig. Das war ihm zuzuschreiben. Es war, als hätte er die Macht, überall zu erscheinen, wo er wollte. Seine Gegenwart in ihrem Zimmer schien so natürlich und selbstverständlich zu sein wie der Mondschein. Er trug die schwarze Kutte des Ordens vom heiligen Johannes mit dem hohen Kragen und dem achtzackigen Kreuz, das mit weißer Seide auf die Brust gestickt war. Rosenkranzperlen waren um seine Taille geschlungen. Sein Haar war kurz und noch immer schwarz, sein Gesicht sonnenverbrannt und hager wie bei einer Marmorstatue. Vor vierzehn Jahren hatte sie ihn zum letzten Mal gesehen. Mehr noch als in seiner Jugend wirkte seine Erscheinung nun faszinierend.
In den letzten Wochen war Carla auf Malta von Männern umgeben gewesen, die ein Glorienschein besonderer Erfahrungen umgab: Mattias, Lazaro, La Valette, Bors, die vielen finster dreinblickenden Ritter, unter deren Tritten die Erde erbebte, wenn sie die Straße entlangmarschierten. Männer, die entschlossen waren,dieser Welt ihren Stempel aufzudrücken. Man spürte es, wenn sie in ein Zimmer eintraten. Ludovico wirkte wie ein Gesandter, dessen Herren über ein finsteres Reich regierten, das bisher von keinem Gott berührt wurde. Er speiste mit Päpsten und Königen. Er hatte gespürt, wie ihre Herzen schneller schlugen, seines dagegen nie. Er war durch breite Ströme unschuldigen Blutes gewatet, und er hatte mit ihr ein Kind gezeugt.
Ludovico schaute sie wortlos von der Tür her mit seinen unergründlichen schwarzen Augen an. Vielleicht musterte er sein nächstes Opfer – oder blickte auf die Liebe seines Lebens. Carla fragte sich, wie lange er schon da gestanden und ihr bei der Abendtoilette zugesehen hatte. Er blickte sie völlig ausdruckslos an. So hatte er vielleicht auch zugeschaut, als die mit Pech bestrichenen Ketzer sich brennend und zu Gott klagend in den Abgrund stürzten.
Sie hatte keine Angst vor ihm, sondern verspürte eine seltsame und unerwartete Zuneigung, eine mit Traurigkeit durchsetzte Zärtlichkeit. Wie schön war er gewesen, und welch schrecklichen Weg hatte er inzwischen eingeschlagen! Vielleicht blieb stets ein Rest Zuneigung übrig, ganz gleich, was geschah, ein wenig Zuneigung für einen Mann, den man einmal im Wahn der Jugend geliebt hatte, der einem nicht nur das Herz gebrochen, sondern der einem auch das Leben zerstört hatte.
Damals
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