Das Sakrament
Kirche die Kehle durchgeschnitten.«
Carla wurde speiübel. Diesen Mann hatte sie geliebt.
»Und dann waren da noch die Säuberungen in Piemont, wo Ludovicos Pfade sich zum erstenmal mit denen von Mattias kreuzten –«
Carla mochte nicht mehr zuhören. Sie fragte: »Wer sind die Waldenser?«
Bors zuckte die Achseln: »Leute, die Christus verehren, aber nicht in der anerkannten Art und Weise.«
Carla starrte schweigend vor sich hin.
»Ludovico besudelt sich nie selbst die Hände mit dem Blut der Ketzer, aber er hat einen langen Arm. Er hat überall Spione und Helfer, in den höchsten und den niedrigsten Schichten, vom Palast bis zum Bordell. Helfershelfer, die Intrigen und Verrat lieben. Wenn ein Mann sich wichtig fühlt, dann macht er alles. Frauen genauso. Wenn man ihnen sagt, es ist für Gott, den Papst und das Reich, und sie werden ihre Belohnung im Himmelreich bekommen, wenn man dann noch einen Sack voll Gold dazugibt und ihnen in Aussicht stellt, daß irgendein Bösewicht in Flammen aufgeht, dann kann kaum jemand widerstehen. Und wenn sie zudem noch starr vor Angst sind, nun, um so besser.«
»Warum ist Ludovico hier und riskiert sein Leben?«
»Das weiß niemand, aber seit er sich in St. Michael blutig geschlagen hat, hat er ein paar Reliquien herumgereicht, und was dasbetrifft, sind die Brüder die reinsten Kinder. Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich auch ein paar Splitter vom heiligen Kreuz mitgebracht. Jetzt haben sie ihn tatsächlich in den Orden aufgenommen.«
»Ludovico ist ein Ritter vom heiligen Johannes?«
»Letzten Sonntag wurde er feierlich mit einem Gelübde in den Orden aufgenommen«, antwortete Bors. »Es wird ihnen noch leid tun. Ein Wolf im Schafspelz, könnte man sagen. Ich habe sein Gesicht gesehen, in jener Nacht, als er an Land ging. Ludovico ist hergekommen, um große Beute zu erlegen, mit Kaninchen gibt er sich nicht zufrieden.«
Mit einem einzigen Bissen schlang Bors das nächste Vanilletörtchen herunter. »Wir sind kleine Leute«, sagte er. »Und wenn wir Glück haben, bleibt es dabei.«
Unzählige Sterne funkelten über der Herberge von England. Carla wünschte sich, sie könnte in dieser scheinbaren Unordnung die Bedeutungen erkennen, die andere sahen, die Mattias sehen konnte. Schaute er nun dieselben Sterne an? Sie wünschte sich, er wäre hier, um sie in die Arme zu schließen. Sie dachte an Amparo und fühlte sich unwürdig. Sie verdrängte all diese Gedanken. Die Herberge, die bisher noch keinen Treffer abbekommen hatte, war nun nicht mehr nur alleiniger Zufluchtshafen der Gruppe, die sie insgeheim »Tannhäusers Truppe« nannte, seiner umherziehenden Familie verirrter Seelen. Nicodemus schlief wahrscheinlich in der Küche, wo er sich um das Herdfeuer kümmerte. Er hatte wohl die Lampe für Carla hingestellt, die ihr die Treppe hinaufleuchten sollte. Bors hatte wahrscheinlich die Nachtwache zur Geisterstunde am Kalkara-Tor übernommen, denn er zog die kühle Nacht vor und schwor zudem, daß dort früher oder später Mattias aus dem Dunkel auftauchen würde. Nun wohnten noch zwei englische Herren in der Herberge. Andere Räume hatte man Genesenden aus der Krankenstation zur Verfügung gestellt. Carla bewohnte noch immer ein Zimmer in Starkeys Haus gleich nebenan.
Sie schlüpfte am Eingang aus den Schuhen und trat leise ein. Siesah Nicodemus auf dem Steinfußboden der Küche schlafen und nahm die Laterne aus der Nische neben der Speisekammer. Sie ging in ihr Zimmer hinauf und schloß die Tür. Sie streifte ihr blutgetränktes Kleid ab, eines von drei schlichten schwarzen Leinengewändern, die sie sich geschneidert hatte. Nachdem man eine Woche lang die Wasserfässer aus der neuen Quelle aufgefüllt hatte, durfte nun endlich wieder Wäsche gewaschen werden. So hatte Carla für morgen früh tatsächlich ein sauberes Kleid.
Sie kleidete sich ganz aus und wusch sich ausgiebig. Das Wasser war frisch und roch nach Orangen. Carla nahm sich vor, Bors beim nächsten Treffen dafür zu danken, denn gewiß hatte er es in ihr Zimmer gebracht.
Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, schüttete sie sich Olivenöl, das sie ebenfalls Bors zu verdanken hatte, aus einer schlanken Flasche in die Handflächen und rieb es sich in Gesicht, Hals und Arme. In ihrem Zimmer, ja im ganzen Haus gab es keinen einzigen Spiegel. Mönche brauchten derlei nicht, und Carla hatte sich nicht die Mühe gemacht, einen zu besorgen. Ihr fiel auf, daß sie seit Wochen ihr eigenes Gesicht nicht mehr gesehen
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