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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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härtesten Gesichter, die ich je gesehen habe, versicherten mir, daß Ihr für immer fortgegangen wart, und sie schauten auf mich herab, als wäre ich eine Hure, ja niedriger als eine Hure, als wäre ich die Mutter Satans. Ich habe mich in der Liebe verloren und mich nie wiedergefunden. Warum habt Ihr mein Herz gestohlen und dann im Stich gelassen?«
    »Ich hatte Angst.«
    Carla starrte ihn an. Sie spürte, wie sie zitterte, wie ihr Gesicht brannte, wie ihr übel wurde vor Wut. Sie flüsterte: »Ihr hattet Angst?«
    Ludovico zwinkerte. »Angst, meine Pflichten zu verletzen.«
    »Eure Pflichten beim Verbreiten von Angst und Schrecken? Beim Foltern und Verbrennen? Das habt Ihr den Tälern und den Blumen vorgezogen? Der Schönheit, die wir gemeinsam erlebt haben? Unserer Liebe?«
    »Ja, Carla, das alles habe ich der Liebe vorgezogen. Fordern das meine heiligen Pflichten nicht von mir? Verlangt das nicht die Ehre?«
    Welche Gefühle er auch hatte, er hielt sie verborgen.
    »Eure Ehre soll verdammt sein!« zischte Carla. »So wie Ihr meine verdammt habt.«
    »Heute würde ich eine andere Entscheidung treffen.«
    »Die einzige Entscheidung, die heute gefällt wird, treffe ich. Und ich sage Euch noch einmal: Geht!«
    »Hört an, was ich zu sagen habe.«
    Carla konnte sich kaum beherrschen, ihn nicht anzuschreien. »Ich habe Euer Kind geboren.«
    Er antwortete: »Ich weiß.«
    »Ihr wißt es? Woher wußtet Ihr das?« fragte sie erstaunt und wegen dieser Enthüllung neuerlich verletzt. Ehe er antworten konnte, setzte sie noch hinzu: »Wann habt Ihr es herausgefunden?«
    »Seit ich mit den Entsatztruppen zurückgekehrt bin, habe ich mancherlei erfahren.«
    »Von Euren Spionen und Helfershelfern.« Ihre Stimme bebte vor Verachtung.
    Ludovico zeigte sich ungerührt. »Mir bleibt kaum etwas in dieser Stadt verborgen. Eure Suche nach einem unbekannten Jungen war kaum ein Geheimnis, nach einem zwölfjährigen Jungen, der am Vorabend von Allerheiligen im Jahre 1552 geboren ist. Wer sonst hätte sein Vater sein können?«
    »Er war die Frucht unserer Liebe. Er war alles, was mir noch lieb und wert war. Obwohl Ihr gegangen wart, habe ich ihn stolz und ohne Scham getragen.«
    »Ich hätte von Euch nichts anderes erwartet.«
    »Ich habe zusehen müssen, wie man ihn mir aus den Armen riß, ehe ich noch seinen zarten Mund an meine Brust führen konnte. Ich habe mit ansehen müssen, wie mein Vater, den ich verehrte, sich in ein Ungeheuer verwandelte. Ich habe mit ansehen müssen, wie meine Mutter unter der Schande, unter dem Verlust aller Träume, die sie je gehegt hatte, zusammenbrach.«
    Ludovico sagte: »Das tut mir leid.«
    Die Lampe stand hinter ihm. Das blasse Mondlicht verbarg eine Hälfte seines Gesichtes in Dunkelheit. Er sagte: »Ich habe gehört, Euer Sohn sei in St. Elmo den Heldentod gestorben.«
    Carla holte tief Luft, hielt diesen Atem fest, als würde sie sonst laut aufschluchzen müssen.
    »Ich würde alles darum geben, wenn ich Euer Leiden lindern könnte«, sagte Ludovico. »Doch all das, von dem Ihr erzählt, ist vor so langer Zeit geschehen. Wir sind beide nicht mehr, was wir damals waren.«
    Sie erwiderte: »Versucht nicht, mich zu trösten!«
    Plötzlich verlor ihre Wut alle Kraft. Sie atmete tief aus. Sie fühlte nur den verzweifelten Wunsch, allein zu sein.
    Sie sagte: »Mein Sohn ist den Tod eines Narren gestorben, und ich habe ihn nicht daran gehindert.«
    »Es ist Wahnsinn, Euch selbst die Schuld dafür zu geben.«
    »Er hat hier gesessen, an meinem Tisch, und ich habe ihn nicht erkannt.« Voller Bitterkeit erinnerte Carla sich an jenen Abend.Es war wenige Wochen her, er war hier in diesem Haus gewesen, und doch schien es in einem anderen Universum gewesen zu sein. Und sie war eine andere Frau gewesen, eine oberflächliche und närrische Frau, blind vor Vorurteilen und Eitelkeit. »Ich habe etwas von Euch in ihm gesucht und nicht gefunden.«
    »Die Züge eines Mannes sind in diesem Alter nur halb ausgebildet. Vielleicht ist er auch eher nach Euch geraten.«
    »Ich habe meinen eigenen Herzschlag gesucht und nicht gehört.«
    »Es ist schwer, sich selbst in einem anderen zu sehen. Vielleicht am meisten im eigenen Fleisch und Blut.«
    »Er war so gewöhnlich – und so ungezogen. Ich hielt ihn für so viel niedriger als mich. Jetzt bade ich solche Jungen, während sie in ihrem eigenen Schmutz verrecken, und halte diesen Dienst für das schönste Geschenk, das Gott mir je gemacht hat.«
    Ludovico streckte die Hand

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