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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Brauen hervor an. Zum erstenmal zeigte sich wieder die Melancholie, die sie immer tief in seinem Herzen gespürt hatte.
    »Ich bin ein Mann Gottes«, antwortete er.
    Er sagte dies, als sei es ein grausiges Geständnis, als würde er mit jedem weiteren Wort zuviel aufs Spiel setzen. Doch Carla wollte mehr erfahren, Dinge, die er nur ihr allein enthüllen würde, die er niemals einer anderen lebenden Seele anvertrauen konnte. Gegen diesen Wunsch aber sprach die Furcht, daß sie ihn, wenn sie ihn dazu aufforderte, in einer Umarmung an sich binden würde, die nur der Tod allein auflösen könnte. Sie wandte sich ab, ging zum Fenster und blickte zu den Sternen empor, die so rätselhaft wie eh und je waren und ihr keinen Rat boten.
    »Man sagt mir«, fuhr er hinter ihrem Rücken fort, »daß Ihr eines jener seltenen Wesen seid, ein guter Mensch. Von ganzem Herzen gut. Ohne Arg. Ohne Eitelkeit. Voll der Gnade. Aber das wußte ich ja ohnehin.«
    Carla drehte sich nicht um. Mit aller Entschlossenheit, die sie aufbringen konnte, fragte sie: »Was wollt Ihr von mir?«
    Ludovico antwortete nicht. Sein Schweigen wühlte sie auf, und obwohl ihr klar war, daß sie ebenfalls schweigen mußte, wußte sie auch, daß sie ihm niemals gewachsen sein würde. Verwirrung regte sich in ihr. Sollte sie versuchen, den Raum zu verlassen? Um Hilfe schreien? Ihn anflehen zu gehen? Oder sollte sie die Wut heraufbeschwören, die sie aber wohl nur schwerlich aufbringen könnte? Sie drehte sich nicht um. Sie sagte die Wahrheit.
    »Ihr ängstigt mich«, sagte sie. »Aber das müßt Ihr ja wissen. Das ist ja Euer Gewerbe.«
    »Mein Gewerbe?«
    »Menschen Angst zu machen. Menschen, die sich nicht verteidigen können.«
    »Nichts könnte mir ferner liegen.«
    Die Worte entfuhren ihr, ehe sie sie aufhalten konnte. »Dann sagt mir, was Ihr wollt!«
    Ludovico antwortete: »Ich will Euch.«
    Es lief ihr eiskalt über den Rücken, und sie war froh, daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte.
    Er fuhr fort: »Soll ich Euer Schweigen als Überraschung deuten? Oder als Abscheu?«
    Carla antwortete nicht. Sie erstarrte, als sie hörte, wie er sich vom Stuhl erhob. Sie spürte, daß er hinter ihr stand, spürte seine Hitze, seinen Atem auf ihrem Haar. Sie zuckte zusammen, als er ihr die Hände auf die Schulter legte. Seine Finger wirkten riesig auf ihrem Nachthemd. Er drückte ihr zart die Schulter, als fürchtete er, sie zu zerbrechen. Die Erinnerung ihres Körpers an seine Berührungen – an genau diese zärtliche Geste – stieg in ihr auf, als sei es gestern gewesen. Aber wo war das Gestern? Carla hörte ihn seufzen, als hätte ein grenzenloses Sehnen endlich seine Erfüllung gefunden. Sie zitterte unwillkürlich und war inzwischen so verwirrt, daß sie nicht wußte, ob aus Furcht oder Vergnügen.
    »Vergebt mir, wenn ich zu unsanft bin«, sagte er. »Ich habe nach Euch keine Frau mehr berührt.«
    Sie glaubte ihm jedes Wort. Sie spürte es in seinen Händen. Es waren nicht die Hände irgendeines wollüstigen Priesters, sondern Hände, deren Daseinszweck allein darin bestand, sie zu berühren. Das Wissen schmeichelte ihr und ängstigte sie zugleich. Ihr Überlebensinstinkt sagte ihr, daß sie ihm auf der Stelle entkommen müßte, denn sonst würde sie sich niemals mehr aus seinen Klauen befreien können. Sie würde für immer ihm gehören, denn er würde sie niemals mehr loslassen. Sie duckte sich aus seiner Umklammerung, spürte, daß er instinktiv den Griff verstärken wollte, aber diesen Impuls zügelte. Sie entfernte sich einige Schritte von ihm, aber nicht, wie sie zu spät merkte, in Richtung auf die Tür. Sie drehte sich zu ihm um.
    Seine schwarzen Augen durchdrangen sie. Er folgte ihr nicht. Er war zu intelligent, um sie zu zwingen, aber nicht zu intelligent, daß ihn ihre Flucht nicht verletzte. Gleichzeitig war er zu schlau, wußte zuviel, als daß sie Gefühle hätte vortäuschen können. Jeder Versuch dieser Art würde ihn nur weiter aufstacheln. Ludovico war gekommen, um große Tiere zu jagen, hatte Bors gesagt. Sie spürte, daß das größte Untier in Ludovicos Herz lebte und daß dieses Untier nicht nur ihn, sondern auch sie jagte.
    »Als Ihr mich das letzte Mal berührt habt, war ich fünfzehn Jahre alt«, sagte sie. Tränen und Wut überwältigten sie nun. »Ich habemich Euch bedingungslos hingegeben. Ich habe Euch alles gegeben, was ich hatte. Und Ihr seid geflohen. Ich bin Euch weinend nachgelaufen, aber Ihr wart schon fort. Eure Brüder, die

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