Das Sakrament
verschwunden. Er schaute den Äthiopier an und sah, daß der Diener dies auch wußte. Auf wackeligen Beinen erhob sich Tannhäuser von seinem Bett und wanderte in den hellen Tag hinaus, den Äthiopier stets an seiner Seite. Abbas’ Zelt war auf einem Hügel aufgeschlagen, der einen Blick auf die Marsa bot, die breite Ebene zwischen Sciberras und Corradino und dem landseitigen Ende des Großen Hafens. Auf der Ebene von Marsa hatte sich das türkische Heerlager ausgebreitet – Zelte, Küchen und Vorratslager und dann das stetig wachsende Feldlazarett, wo weniger vom Glück begünstigte Krieger als Tannhäuser lagen und in der grausamen Hitze dahinsiechten. Tannhäuser und der Äthiopier gingen bis zum Bergrand und blickten von dort auf eine Szene hinunter, die der Schlund des Ätna hätte sein können.
Eine dichte graue Wolke hing über der Küste mit ihren Halbinseln und Buchten. Hervorquellender Rauch und Mündungsfeuer bildeten die Speichen eines riesigen Rades, das sich über den Galgenpunkt und St. Elmo erstreckte und über die Anhöhen von Scibberas, Salvatore, Margharita und Corradino, wo sie standen.Im Mittelpunkt dieses wütenden Höllenfeuers lagen Birgu und L’Isla. Ein schreckliches Heulen erhob sich in die Morgenluft, und die Legionen des Sultans stürmten über die Ebene und über die mit Leichen angefüllten Gräben, um wie eine riesige Welle gegen die rauchgeschwärzten Bastionen der beiden Festungen zu schwappen. Leitern wurden erhoben. Brennende Reifen und Feuertöpfe stürzten auf die Angreifer herab, und schließlich begann auf den zerstörten Festungsmauern das Gemetzel im Kampf Mann gegen Mann.
Nach seinem schier zeitlosen Aufenthalt im Zelt kam Tannhäuser das wahnsinnige Brodeln vor seinen Augen wie ein abwegiger Fiebertraum vor, der nicht von dieser Welt war. Aber dies war die Welt, seine Welt. Die Erkenntnis, daß er sich schon bald wieder hineinstürzen mußte, für die eine oder die andere Fahne, erfüllte ihn mit Grauen, Übelkeit und einer ungeheuren Sehnsucht nach der Hilflosigkeit, aus der er soeben aufgetaucht war. Tannhäuser schaute zu dem Äthiopier. Zum erstenmal wirkte der Diener nicht beherrscht und vorsichtig. Er sah aus wie eine Katze, die von einem Fensterbrett aus zuschaut, wie auf der Straße zwei Hundemeuten miteinander kämpfen. Er blickte zu Tannhäuser, wandte sich sogleich um und ging zum Lager zurück.
Tannhäuser blickte ihm nach. Die Übelkeit hatte sich in Hunger verwandelt, in eine gierige Sehnsucht nach Fleisch. Er schaute nicht auf die Schlacht zurück, sondern machte sich auf die Suche nach einem Frühstück. In der Küche fand er heraus, daß man den 2. August schrieb und er also beinahe sechs Wochen im Zelt gelegen hatte. Als er ins Zelt zurückkehrte, war der Äthiopier fort. Tannhäuser sah ihn dort nie wieder.
Auch am 2. August unterlag der Orden nicht. Tannhäuser schaute vom Berg aus zu, wie sich die Dämmerung herabsenkte, und hörte, wie der Muezzin klagend seinen Abendruf sang, sah die Bataillone der Janitscharen mit ihren zerfetzten Fahnen und ihren Verletzten zu den Lagerfeuern ziehen und zu dem bißchen Trost, das sie rings um ihre Kessel finden mochten.
Abbas kehrte in finsterer Stimmung in sein Zelt zurück. Tannhäuser – oder Ibrahim, wie Abbas ihn kannte – schloß sich ihm in seinen Gebeten an. Danach aßen sie an einem niedrigen Tisch aus poliertem Kirschholz. Abbas war nun über fünfzig Jahre alt, wurde von seinen Kameraden sehr bewundert und von seinen Männern verehrt, für deren Wohlergehen, Pferde und Ausrüstungen er einiges aus seiner eigenen Schatulle beisteuerte. Sein Bart war inzwischen stahlgrau, und zwei helle Narben zeichneten ihm Brauen und Wange. Ansonsten war er noch so schlank und elegant wie an dem Tag, als er Mattias beim Leichnam seiner Mutter gefunden hatte.
Auf der drei Monate langen Reise, die sie vor fünfundzwanzig Jahren miteinander gemacht hatten, aus der Wildnis der Fogarasch-Berge bis in die großartigste Stadt der Welt, hatte Abbas Tannhäuser die ersten Grundlagen der türkischen Sprache und die Rituale der täglichen Gebete beigebracht und ihm erklärt, wie er sich als Zögling der Enderun-Militärakademie in Istanbul zu verhalten habe. Im Gegenzug hatte Tannhäuser oder besser Ibrahim seine Fertigkeiten im Instandsetzen von Geschirren, in der Pferdepflege und Reitkunst unter Beweis gestellt. Obwohl die Männer, die seine Mutter und seine Schwester ermordet hatten, auch unter Abbas’ Befehl
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