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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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erteilt haben. Die andere Lektion haben sie mir damals deutlich genug erklärt. Für die Bedürfnisse des Fleisches gibt es Bordelle und Lustknaben. Sich zu verlieben ist das Verbrechen. Und darauf steht eine schreckliche Strafe.«
    Die Finsternis des Flures verschluckte ihn. Die Tür fiel zu, und Carla war allein mit der flackernden Lampe, mit ihren Erinnerungen an alles, was sie verloren hatte, und mit ihrer Furcht um das, was ihr noch zu verlieren geblieben war.
    Sie lag schlaflos auf dem Bett und fand auch im Gebet keinen Trost. Sie erhob sich, zog ihr Kleid über und steckte ihr Haar hoch. Sie zerrte den großen braunen Lederkasten aus der Ecke, nahm die Laterne auf, stahl sich, so leise sie konnte, die Treppe hinunter und ging durch die Küche und in die Nacht hinaus.
    Bei den Felsen an der Werftbucht fand Carla den richtigen Platz. Weil hier die schwere Eisenkette die Einfahrt in den Hafen versperrte, war dieses Ufer einer der wenigen unbefestigten Orte. Hier standen keine Wachen. Es herrschte ein Gefühl des Friedens. Sie packte ihre Gambe aus, spannte den Bogen und stimmte die Saiten. Ihre Fingerspitzen waren weich, die Hornhaut war verschwunden. Zum erstenmal nahm sie die Gambe aus dem Kasten, seit sie Mattias in der Villa Saliba vorgespielt hatte, damals in einer anderen Welt und in einem anderen Zeitalter.
    Auf der anderen Seite des Wassers lag L’Isla. Die Windmühlen hoben sich als Silhouetten vor dem Sternenhimmel ab. Jenseits von L’Isla befand sich irgendwo das türkische Lager. Falls Mattias noch lebte, falls die leise Hoffnung, die in ihrem Herzen flüsterte, mehr als eine verzweifelte Illusion war, dann würde er vielleicht ihre Musik und ihre Ängste hören. Und vielleicht würde er zurückkommen. Carla holte tief Luft. Sie schüttelte die Müdigkeit ab und begann zu spielen.

M ONTAG , 6. A UGUST 1565
Auf der Marsa-Ebene – Im rosa Pavillon – In der Bucht von Marsamxett
    Tannhäuser überquerte die Marsa-Ebene und die Hänge des Monte Scibberas. Mit seinem weißen Turban und scharlachroten Kaftan sah er weitaus fürstlicher aus, als er sich fühlte. An seiner Seite hing an einem Gürtel ein Dolch mit einem rubinroten Knauf und einer granatverzierten Scheide. Sein Reittier war eine herrliche kastanienbraune Stute aus dem persönlichen Besitz von Abbas bin Murad. Er war auf der Suche nach einem Jungen, der irgendwo in der Gegend umherlief. Wieder war Orlandu schwer zu finden. Zuerst würde Tannhäuser sein Glück bei den Korsaren versuchen.
    Als er durch das rauchgeschwärzte Außenwerk von St. Elmo ritt, hatte sein Aufzug die gewünschte Wirkung auf die Wache am Tor, einen Bulgaren, der sich tief vor ihm verneigte. Tannhäuser überquerte den zerklüfteten Festungshof, wo man die letzten Ritter enthauptet hatte und wo er mit La Mas dessen letzte Nacht durchwacht hatte. Eine türkische Belagerungskanone dröhnte von der seeseitigen Mauer, die nach Birgu hinüberzeigte. Außer den Kanonieren war kaum jemand auf der Mauer. Dies alles war einmal eine ganze Welt gewesen, angefüllt mit heroischem Wahnsinn und heiliger Liebe. Nun war es nur noch eine schäbige Ruine und lag verlassen da. Tannhäuser schauderte. Vorsichtig ritt er in die Schmiede und stieg ab. Der Raum war leer und kühl. Mit einer Zange hebelte er den schweren Stein vom Boden hoch, um die fünf Pfund Opium und den schweren goldenen Ring wiederzufinden, die er darunter begraben hatte. Kaum eine Herkulesaufgabe, doch schon bald stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Er war noch nicht wieder bei bester Gesundheit, aber zumindest war er wieder auf den Beinen.
    Beinahe hätte ihn das Wundfieber dahingerafft. An die ersten fiebrigen Tage nach dem Fall von St. Elmo konnte er sich nicht erinnern.Sie vergingen ihm in einem Delirium, in dem er wenig spürte und zum Glück auch nicht merkte, wie man ihm einen großen Abszeß entfernte, der hinter der Musketenkugel in seinem Hinterteil zu Faustgröße angeschwollen war. Wäre er in dieser Zeit gestorben, dann als zitterndes, vor sich hin murmelndes Knochenbündel, das zu keiner Regung wie Reue oder Furcht fähig war. Nachdem er das Bewußtsein wiedererlangt hatte, wurde sein Leben wesentlich anstrengender.
    Tannhäuser stellte fest, daß er in soviel Luxus gepflegt wurde, wie die gegenwärtigen Umstände erlaubten, im rosafarbenen Zelt des Abbas bin Murad. Ein äthiopischer Sklave verscheuchte die Fliegen und kühlte Tannhäuser in der sengenden Hitze die Stirn mit einem Schwamm. Er verbrannte

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