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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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safawidischen Ketzern im Iran angeknüpft hatte, gegen die Suleiman Kriegführte. Suleiman zitierte Prinz Mustafa in sein Lager in Karamania und ließ ihn mit der für ihn charakteristischen Skrupellosigkeit von seinen taubstummen Eunuchen erdrosseln.
    »Wenn Prinz Mustafa vorgehabt hätte, den Herrscher zu stürzen, dann hätte er dem Befehl seines Vaters niemals Folge geleistet«, sagte Tannhäuser. »Ich kannte den Prinzen. Dieser Plan war eine Erfindung der Russin.«
    »Das werden wir niemals genau wissen«, antwortete Abbas vorsichtig. »Aber darum geht es in meiner Geschichte gar nicht. Im Heer war der Zorn über den Tod des Prinzen groß, insbesondere unter den Janitscharen. Wenn es einen Mann gegeben hätte, der bereit gewesen wäre, sie anzuführen, dann hätte nichts sie daran hindern können, unseren Sultan sofort zu stürzen, vielleicht sogar zu töten. Sie hätten all ihre Kessel umgestürzt.«
    Die Kupferkessel, aus denen die Janitscharen ihre einzige Mahlzeit am Tag aßen, waren das Symbol für ihre innere Ordnung. Sie umzustürzen bedeutete Revolte, und einem solchen Aufstand hatten zumindest zwei Sultane ihre Herrschaft zu verdanken. Die Janitscharen waren zahlenmäßig zwar die kleinste Gruppe im Heer des Sultans, aber sie hatten ungeheure politische Macht.
    Tannhäuser sagte: »Einen solchen Anführer gab es aber nicht.«
    Abbas schaute Tannhäuser scharf an, der, ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete. »Und selbst wenn es einen solchen Mann gegeben hätte, wenn es einen Aufstand gegeben hätte, hätte dieser Mann nur einen Krieg zwischen Prinz Mustafas Sohn Murad und den anderen Söhnen entfesselt. Es ist besser, daß einer stirbt, anstatt unzählige Tausende. Wie so oft, war der Sultan überaus weise.«
    »Genau«, stimmte ihm Abbas zu. »Und das bringt mich wieder zu meiner Geschichte. Gewisse mächtige Kreise verlangten, daß alle Nachkommen vom Blute Mustafas ausgelöscht würden. Kurz darauf wurde Prinz Murad erdrosselt. Prinz Murads Sohn war damals erst drei Jahre alt. Suleiman schickte einen Eunuchen und einen Hauptmann der Janitscharen aus, um das Kind – seinen eigenen Urenkel – umzubringen. Dieser Hauptmann wurdedurch das Los aus der Leibwache Prinz Mustafas ausgewählt. Auf diese Weise wollte Suleiman dafür sorgen, daß sie ihre Treue zum Sultan erneut unter Beweis stellte.«
    Tannhäuser war plötzlich müde bis in die Knochen und unendlich traurig. Er wollte zurück ins Bett, wollte, daß der Äthiopier über ihn wachte. Er sehnte sich nach dem heilenden Schweigen des Mannes, aber der Äthiopier war nicht da. Nur die Höflichkeit hinderte ihn daran, sich von Abbas’ Tisch zu erheben.
    »Man hatte den Hauptmann der Janitscharen ausgewählt, um das Kind umzubringen«, fuhr Abbas fort. »Aber als er den Jungen auf sich zulaufen sah – mit ausgestreckten Händen, um ihm einen Kuß zu geben –, da fiel der Janitschare in Ohnmacht.«
    In Wahrheit war der Janitschare aus dem Zelt gewankt und hatte sich erbrochen, aber es schien kaum der Rede wert, Abbas’ Version der Ereignisse noch zu korrigieren.
    Abbas schloß: »Deswegen vollbrachte der schwarze Eunuch die Tat an seiner Statt.«
    »Warum erzählst du mir diese Geschichte?« fragte Tannhäuser.
    »Ist sie wahr?« wollte Abbas wissen.
    Tannhäuser antwortete nicht.
    »Ich kann verstehen«, fuhr Abbas fort, »daß der Janitschare danach seinen Geschmack am Kriegshandwerk verloren hatte und daß die Dankbarkeit des Sultans so groß war, daß er ihm einen ehrenvollen Abschied gewährte.«
    In Abbas’ Augen lag der gleiche Ausdruck, wie Tannhäuser ihn von ihrer ersten Begegnung in Erinnerung hatte, an jenem kühlen Frühlingsmorgen, in jenem Tal, dessen Bäche er manchmal in den Landschaften seiner Träume rauschen hörte. Es lag ein Erkennen in diesem Blick, das unüberwindliche Abgründe überbrückte und das nur von einer höheren Gewalt verliehen sein konnte, ganz gleich, ob sie menschlich oder göttlich war. Tannhäuser wandte die Augen ab.
    »Als dein Fieber am höchsten war«, fuhr Abbas fort, »als du das Bewußtsein verloren hattest und die Ärzte mir nur wenig Hoffnung machten, hast du immer wieder ein Gebet gemurmelt. Ichhabe meine Ohren zu deinen Lippen geneigt und zugehört. Was du immer wiederholtest, waren die ersten Verse des Adh-Dhariyat .«
    Wie eine traurige Melodie huschten die arabischen Worte durch Tannhäusers Gedanken. Er sagte immer noch kein Wort, aber Abbas sprach die Verse für ihn.
    »Bei den heftig

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