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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Schuß der Seide entstanden war, aus Dunkel und Hell und aus dem Geschick der Färber, ein Musikstück oder eine Frau oder eine seltsame Erfindung des Kosmos. Manche Stunden verbrachte Tannhäuser in den Nächten damit, im gelben Schein der Lampen auf die rosafarbene Wand zu starren. Wenn draußen die roten Schattierungen der Dämmerung einer abgrundtiefen Schwärze wichen, entpuppte sich auch diese Schwärze als mehr, denn sie wurde durch das Flackern der Lagerfeuer und das glitzernde Sternenlicht gemildert. Rosa bedeutete Leben. Die Farbe erinnerte Tannhäuser daran, was Petrus Grubenius ihm gesagt hatte, daß ein jegliches Ding, das existierte, einen Einfluß auf alle anderen Dinge nahm, ganz gleich, wie weit sie voneinander entfernt waren. Wenn einander zwei Ereignisse, die nahe beieinander geschehen, veränderten, dann mußte doch jedes der beiden auch die Natur eines dritten und vierten verändern. Dann war nichts völlig losgelöst, so sehr wir es uns manchmal wünschen mochten. Deswegen übten auch die Sterne, die fernsten aller bekannten Himmelskörper, einen Einfluß auf jedes menschliche Schicksal aus, eine Tatsache, die kein intelligenter Mensch je bestreiten würde.
    Welchen Gewinn er aus dieser Studie in Rosa ziehen, welcheBedeutung er ausmachen konnte, blieb Tannhäuser verschlossen. Diese Dinge geschahen aus eigenem Antrieb. Ähnlich erging es ihm mit dem schweigsamen Äthiopier, der noch rätselhafter war. Mehr als alles andere war er die heilende Kraft, die ihm das Leben gerettet und seine Gesundheit wiedergeschenkt hatte.
    Niemand hatte Tannhäuser erklärt, daß sein Pfleger Äthiopier war, am wenigsten der Mann selbst. Doch er bezweifelte nicht, daß seine Vermutung zutraf. Keine Rasse war unverkennbarer: Es waren hoch aufgeschossene Menschen mit langen Gliedmaßen und schmalen Händen, fest wie Eisenholz und schlank wie Schilf. Auf den Sklavenmärkten von Alexandria und Beirut hatte Tannhäuser sie gesehen. Wenige Sklaven wurden mehr geschätzt, nicht zuletzt, weil sie außerordentlich wild waren und sich nicht kampflos den Befehlen ihrer arabischen Sklaventreiber unterwarfen. Kaum je gelang es, erwachsene Männer bei lebendigem Leibe zu fangen, und auch diesen Mann hatte man wohl als Knaben entführt. Äthiopien war das Land der Königin von Saba, des fabelhaften Priesterkönigs Johannes und der verlorenen Stämme Israels. Man sagte, die Bundeslade selbst sei dort verborgen und werde von Kriegern beschützt, die Schwerter mit sechs Fuß langen Klingen schwangen. Sie werde in einer roten Bergkathedrale aufbewahrt, die man aus dem Fels geschlagen hatte. Die Äthiopier glaubten an einen schwarzen Jesus. Warum auch nicht? Zum Beweis ihrer Mannhaftigkeit jagten sie allein in der roten Savanne wilde Löwen, nur mit einem einfachen Speer bewaffnet, und dann legten sie das Fell und die Zähne des Tieres an, wenn sie in den Krieg zogen. Kein Wunder also, daß der Mann, der ihn pflegte, seinen Kot mit mehr Würde beseitigen konnte, als selbst ein Prinz bei der Krönung zeigte. Obwohl man ihn zu diesen niedrigen Diensten verpflichtet hatte, hielt er sich so stolz und aufrecht wie jeder Janitschare oder Ritter.
    Nachdem Tannhäuser mit seinen ersten Versuchen, ein Gespräch zu beginnen, gescheitert war, beschränkte er sich darauf, den Kopf zu neigen, um seinen Dank und seine Segenswünsche auszudrücken. Der Äthiopier schlief auf dem Boden neben seinem Bett. Wenn Tannhäuser schlaflos auf das erste Morgenlichtwartete und sich umdrehte, um die feinen, ebenholzschwarzen Züge zu studieren, waren die Augen des Mannes stets bereits geöffnet, als schliefe er nie, sondern ruhte sich nur aus. Die Augen waren schwarze Spiegel, die alles zu reflektieren schienen.
    Jenseits der durchscheinenden Zeltwände dröhnten Kanonen und knallten Peitschen. Zahllose Grausamkeiten geschahen, doch hier im Zelt kümmerte sich ein Fremder, dessen Namen er weder kannte noch erfragte, Tag und Nacht um ihn, als sei er ein Kleinkind. Ganz gleich, welcher Zwang den Äthiopier zu dieser Aufgabe preßte, er erfüllte sie mit grenzenloser Freundlichkeit, inmitten all der grenzenlosen Bosheit. Tannhäuser schien es, daß kaum je menschliche Güte näher an makellose Reinheit reichte.
    Der Tag brach an, als Tannhäuser aufwachte. Irgend etwas sagte ihm, daß alles vorüber war und es ihm wieder gutging. Er war zwar schwach und zu einem jämmerlichen Knochengestell zusammengeschrumpft, aber alles, was ihn so geplagt hatte, war

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