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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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überein, daß Weinen einen abgestumpften Geist wiederzubeleben vermag.«
    Auch Carla lächelte. Seine Wärme hatte ihre Furcht verbannt, und nun war sie neugierig, denn diesen Namen hatte er auch vorher schon einmal erwähnt. »Sagt mir, wer ist Petrus Grubenius?«
    »Petrus war ein Arzt, Astronom, Alchemist, ein Philosoph der Naturmagie, in so vielen ihrer unendlichen Formen, wie er nur studieren konnte – Kosmologie, Physik, das Destillieren von Arzneien und Elixieren, die Verwandlung von Metallen, die Magie der Zahlen, die Geheimnisse der Magnetsteine und Linsen.« Mattias reckte die Arme in die Luft. »Kurz, ein Gelehrter in allen wunderbaren Wissenschaften. Bösartigkeit und Zorn waren ihm unbekannt, genauso wie jene Furcht vor dem anderen, die aus uns allen Tiere macht. Er war mir ein guter Freund. In ihm war die Quintessenz – deren Geheimnisse sein Heiliger Gral waren – in ihrer höchsten Form verkörpert.«
    Seine Leidenschaft, die Traurigkeit, die daraus hervorschimmerte, rührten sie.
    »Erzählt mir mehr.«
    »Nun«, fuhr Mattias fort und rieb seine Handflächen aneinander. »Die Griechen – in jener fernen, längst verlorenen Zeit, ehe sie die jammervolle Rasse wurden, die wir heute kennen – haben die vier grundlegenden Elemente des Universums identifiziert: Feuer, Erde, Wasser und Luft. Pythagoras hat noch ein fünftes und höheres Element erkannt – die Quintessenz –, das, wie er sagte, in der Schöpfung aufwärts flog und aus dem die Sterne selbst gebildet wurden, zusammen mit allen anderen Dingen, den lebenden und den toten. Es ist die Kraft des Lebens, aber nicht nur des Lebens, sondern der gesamten Existenz.«
    »Ich meinte eher Eure Freundschaft mit Grubenius.«
    Einen Augenblick lang war Mattias niedergeschlagen, als wärees nur zu erwarten gewesen, daß sie sich mehr für das Menschliche als für das Unendliche interessierte.
    Sie fügte hinzu: »Ich mag ein wenig einfältig erscheinen, vielleicht auch ein wenig zu weiblich, aber Ihr interessiert mich wesentlich mehr als Pythagoras.«
    Mattias atmete tief ein, als müßte er sich für eine schwierige Aufgabe wappnen.
    »Ich war noch nicht lange im Lande der Franken«, hob er an. »Ich hatte in Piemont für Alva gegen die Franzosen gekämpft und war gerade ausgemustert worden. Da ich seit meiner Kindheit nichts anderes gekannt hatte, war ich nur einer von vielen Söldnern, die auf den nächsten Krieg warteten. Petrus war schon ein alter Mann, der sich seltsame Sitten und Verhaltensweisen angewöhnt hatte, weil er lange allein gelebt hatte und sich wenig um sein Aussehen und seine Manieren scherte. Seine Hände waren von seinen wunderlichen Experimenten schrecklich verunstaltet, und ein ständiger Schmerz in der Hüfte ließ ihn humpeln. Ich schob einige Bravi zur Seite, die ihn auf der Straße angepöbelt hatten, und er nahm mich dafür mit zu sich nach Hause und gab mir ein Abendessen. Was er in jener Nacht in mir sah, kann ich nicht sagen, aber ich habe zwei Jahre unter seinem Dach verbracht. Jahre, wie ich sie nie mehr wieder erleben werde.«
    Carla spürte, daß ihm wohl damals ein mögliches anderes Leben geschenkt und vom Schicksal wieder entrissen worden war.
    »Seine Werkstatt war eine Fundgrube der hermetischen Künste. Jedes Zimmer im Haus war bis unter die Decke vollgestopft mit gelehrten Büchern, von denen er viele mit eigener Hand geschrieben hatte und die er einfach irgendwohin abgelegt hatte, weil seine Gedanken zu neuen Weidegründen gezogen waren. Er freute sich an meiner Wißbegier, wie unbeholfen sie auch war, und da seine Hände im hohen Alter ihr Geschick verloren hatten, waren meine Fertigkeiten als Schmied ihm sehr wertvoll. So wurde ich sein Schüler und Gehilfe.«
    Bei diesen Worten strahlte Mattias vor Stolz. Er nahm noch einen Schluck Wein.
    »All das war gut und schön, doch dann fand Petrus heraus, daß ich die arabische Schrift lesen konnte. Er geriet darüber in eine Erregung, die ich nie vergessen werde. Man hätte meinen können, er hätte den Stein der Weisen gefunden. Seine Bewunderung der arabischen Weisheiten war grenzenlos. Zufällig hatte er in seiner Bibliothek ein seltenes Traktat in dieser Sprache, eine Abhandlung von Abu Musa Jabir, einem Gelehrten aus Bagdad, deren Geheimnisse er nie entschlüsselt hatte. In mir hatte er nun den Schlüssel dazu gefunden. Es wurde eine anstrengende Arbeit. Viele Wörter habe ich nicht erkennen können, aber er war so genial im Umgang mit Zahlen, daß er es

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