Das Sakrament
Eure türkischen Freunde verlassen? Bei ihnen wart Ihr in Sicherheit.«
»Euer Sirenengesang hat mich in der Nacht hergerufen.«
»Ihr habt doch gesagt, daß wir offen miteinander reden können, und das heißt auch ohne Furcht. Ihr sagt, meine Musik hat Euch gerührt, und das ehrt mich, aber die Musik allein kann doch nicht einziger Grund und einziges Ziel sein, noch viel weniger Euer größter Wunsch.«
Mattias schaute sie nachdenklich an. Sie wartete darauf, daß er eine Verliebtheit eingestehen würde, die ihrer gleichkam. Er sagte: »Mein Wunsch ist und bleibt der, Euch mit Eurem Sohn vereinigtzu sehen. Um so mehr seit ich weiß, was für ein großartiger Junge er ist und was für ein guter Freund.«
Diese Worte kamen von Herzen, und Carla war zutiefst gerührt. Gleichzeitig fühlte sie sich als Rabenmutter, weil sie mehr für den Mann als für den Jungen empfand. Sie beneidete ihn um seine tiefe Bindung an Orlandu, den sie selbst ja kaum kannte.
»Diese Aufgabe hat sich als unerwartet schwierig erwiesen, gelinde gesagt«, fuhr er fort. »Wie Ihr wißt, ist Orlandu in Sicherheit bei meinem Gönner Abbas bin Murad, dem Befehlshaber der Gelben Banner, einem Mann von seltener Freundlichkeit und Weisheit. Früher oder später wird man Orlandu nach Stambul mitnehmen, und da werde ich ihn wiederfinden.« Er machte eine Handbewegung, die das Durcheinander um sie umfaßte. »Wir haben es nun mit dem Problem zu tun, wie wir diesem Wahnsinn entfliehen können.«
Einen Augenblick lang war Carla verwirrt. Der Gedanke erschien ihr völlig absurd. »Entfliehen?«
»Wenn ich eine Möglichkeit finde, kommt Ihr mit mir?«
»Malta verlassen?«
»Verlassen, im Stich lassen, fliehen – wie Ihr es auch nennen mögt«, antwortete er. »Ihr, Amparo, Bors und ich.«
»Und die anderen?«
»Die anderen sind in der Lage, auch ohne uns zu sterben. Der Papst hat ihnen den Himmel versprochen, um ihnen Trost zu spenden.«
Er schien es völlig ernst zu meinen. Sie antwortete: »Ich kann kaum glauben, daß ich Euch das habe sagen hören.«
»Ihr habt Euer Schicksal an das des Ritterordens gebunden. Mehr noch, Euer Herz, vielleicht sogar Eure Seele. Eine solche Zugehörigkeit kann Trost schenken, aber glaubt nur nicht, daß es hier um irgendwelche höheren Prinzipien geht. Dies hier ist nur ein schäbiger kleiner Krieg, der zu Ende gehen wird. Auf der Landkarte wird sich eine einzige Linie verschieben oder auch nicht. Danach wird es weitere Kriege geben. Männer wie Suleiman Schah und La Valette werden solche Kriege bis ans Ende aller Zeiten ausfechten, und es wird ihnen niemals an Anhängern oderGründen dafür fehlen. Also, schließt Ihr Euch mir an? Oder hat Euch diese Kriegssehnsucht nun auch erfaßt?«
»Krieg ist etwas Abscheuliches, und doch würde wegzulaufen mir falsch erscheinen.«
»Euer Mut im Angesicht des Todes braucht keinen weiteren Beweis. Vielleicht steht jetzt Euer Mut, dem Leben ins Antlitz zu schauen, auf dem Prüfstand?«
»Was ist, wenn der Orden gewinnt?«
»Gewinnt?« Tannhäuser lachte. »Die Zeit macht all diese Siege zunichte, ausnahmslos. Wer schert sich heute noch darum, daß Hannibal in Cannae gewonnen hat? Oder Timur der Lahme in Ankara? Oder Alexander bei Gaugamela? Alle sind sie inzwischen zu Staub zerfallen, genau wie ihre mächtigen Weltreiche. Und so wird es auch den Ottomanen und den Spaniern ergehen und anderen, deren Stern erst noch aufgehen wird. Meine Vorstellung von einem Sieg ist, irgendwo alt zu werden, gut zu essen und guten Wein zu trinken, den Wind auf meinem Gesicht zu spüren und die zarte Haut einer Geliebten unter meinen Händen.«
»Ich habe eine Verpflichtung den Kranken gegenüber. Eine heilige Pflicht. Sacramentum – Ihr versteht?«
»Dann bedeutet Euch Euer Junge nichts.« Carla zuckte zusammen, weil sie fürchtete, daß er damit eine Wahrheit angesprochen hatte. »Und Amparo, Bors und ich können ruhig wie die anderen irgendwo verrecken – wir, die wir um Euretwillen in diese Hölle gekommen sind.«
Carla war sprachlos vor Verwirrung. Sie verspürte brennende Scham und wich seinem Blick aus.
Mattias fuhr fort: »Ich war schon auf dem besten Weg nach Tripolis, als ich Euch spielen hörte.«
»Warum habt Ihr uns dann nicht unserem Wahn überlassen und seid gegangen?«
»Weil ich mir den verrückten Gedanken eingeredet habe, daß ich Euch liebe.«
Carla starrte ihn an. Das Herz pochte ihr bis zum Hals. Er erwiderte ihren Blick.
»Bors sagt mir, daß man im Krieg
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