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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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der Liebe nicht trauen kann. Der Krieg macht die Menschen verrückt, und die Liebe macht sie noch verrückter. Deswegen ist es töricht, von derlei Angelegenheiten zu sprechen, weil wir dann Dinge sagen, die wir nicht meinen. – Trotzdem.«
    Er streckte seine Hand zu ihr hin und berührte sie sanft an der Wange. Sie schmiegte ihr Gesicht in seine Handfläche, und es überlief sie ein Schauder. Er fuhr ihr mit den Fingern ins Haar. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht und blickte ihn an. Seine Augen strahlten blau, selbst im matten gelben Licht. Mit einem gespenstischen Schatten von Schuldgefühl öffnete sie leicht den Mund und schloß die Augen. Er küßte sie. Sein Bart kratzte rauh an ihrer Haut. Er roch nach Pulverdampf und Schweiß, und sein Schweiß rief wieder die Erinnerung an ihr erstes Verlangen nach ihm wach, damals im Garten am Hügel. Seine Lippen wurden drängender. Sie wollte sich an ihn pressen, ihn halten und gehalten werden, ihren Durst an ihm löschen, fallen und sich ergeben, alles vergessen und ewig in seinen Armen versinken, doch ihr Körper blieb reglos. Statt dessen lag sie in seiner Hand geborgen, als schwebte sie auf einer Wolke der Verzückung. Dann wichen sein Mund und seine Hand zurück. Sie regte sich nicht, wollte sich nicht regen, als könnte sie so der Zeit befehlen stillzustehen.
    »Du weinst«, sagte er.
    Carla schlug die Augen auf, und ihre Hände flogen verwirrt zu ihren Wangen. Sie waren naß. Hektisch wischte sie die Tränen mit dem Handrücken ab. Sie fühlte sich wie eine Närrin. Ihr Entzücken war verflogen.
    Mattias lehnte sich auf seinem Stein zurück. In seinem schmutzigen Gesicht wirkten seine Augen riesig. Er war ihr immer als ein Mann erschienen, der zu jeder Zeit wußte, was er wollte, doch nun las sie auf seinen Zügen, daß auch ihn Verwirrung plagte, die ihre eigene widerspiegelte.
    »Verzeiht mir«, sagte er. »Heute habe ich lange gekämpft. Meine Gedanken sind verwirrt vom zu Unrecht vergossenen Blut.«
    Er langte nach dem Weinschlauch. Panik regte sich in ihr. Siewollte keine Entschuldigung. Sie wollte etwas so Primitives, daß sie es nicht einmal beim Namen nennen konnte. Bors hatte recht. Liebe und Krieg sind Wahnsinn. Chaos, Pestilenz, Blut. Mütter und Söhne und Männer. Sie blinzelte die Tränen weg, die ihr die Sicht nahmen. Tränen der Verzückung, die Mattias mißverstanden hatte. Ohne nachzudenken, nahm sie seinen letzten Satz auf.
    »Zu Unrecht vergossenes Blut?«
    Der falsche Satz. Ein Satz, um den sich niemand scherte. Sie spürte, wie ihr der Augenblick entglitt. Die Unterhaltung, der Kuß, sein glühendes Verlangen, alles wurde vom Wind in die Nacht hinausgeweht.
    Mattias zuckte die Achseln, hatte die Augen auf den Weinschlauch in seiner Hand gerichtet, und sie sah, daß er sich wieder in sich selbst zurückgezogen hatte. »Blut wird beinahe immer zu Unrecht vergossen«, sagte er. »Auch wenn alle hier anderer Meinung zu sein scheinen. Soldaten des Islam. Soldaten Christi. Alle sind in den Augen der anderen Teufel, und der Satan lacht sich ins Fäustchen.«
    Mattias bot ihr den Weinschlauch an. Sie schüttelte den Kopf. Er trank und wischte sich den Mund ab. Sie zuckte zusammen, als wischte er ihren Kuß weg, als hätte es diesen Kuß nie gegeben, als hätte sie ihn geträumt, wie sie so vieles andere geträumt hatte. Ihr Herz aber schlug immer noch schneller, und sie schmeckte den Kuß noch auf den Lippen. Sie wollte nicht über den Krieg sprechen. Sie wollte hören, daß er über Liebe sprach, doch sie hatte in derlei Dingen kein Geschick. Ihre Schultern waren völlig steif geworden. Sie hatte sich so sehr in sich zurückgezogen wie er. Dabei war Rückzug seinem Wesen fremd: Er nahm ein Tuch aus dem Ärmel, neigte sich zu ihr herüber und wischte ihr über das Gesicht. Das Tuch starrte vor Schmutz, und doch fühlte sich die Berührung köstlich an.
    »Viel besser, wenn man Tränen vergießt«, sagte er. Er lächelte, um sie aufzumuntern, und steckte das Tuch wieder in den Ärmel zurück. »Petrus Grubenius hat vermutet, daß Tränen in Wirklichkeit Blut sind, dem durch die Membranen des Gehirns alle Kraft entzogen wurde. Das konnte er allerdings nie beweisen, aber esstimmt, daß sie ähnlich schmecken: salziger als Urin, nicht so salzig wie Meerwasser. Er glaubte auch, daß Weinen außerordentlich gesund sei – der Ersatz der Natur für den Aderlaß, den die Chirurgen uns so sehr gern angedeihen lassen. Viele stimmen mit ihm darin

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