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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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am besten einen Gang zum Fuß des Belagerungsturms anlegen sollte. Der Maurermeister musterte die Maße der Steine im Mauerverbund gründlich und zeichnete mit dem instinktiven Wissen, das er nicht weiter erläuterte, mit Kreide eine Zahlenreihe auf verschiedene Steinblöcke. Dann machte sich der Trupp mit einer Gründlichkeit an die Arbeit, die alle Zuschauer erstaunte. Mörtel und Steine wurden herausgeschnitten, und innerhalb einer halben Stunde klaffte bereits ein grob gehauener Torbogen in der untersten Mauerschicht, der groß genug war, daß zwei Männer nebeneinander hineinpaßten. Dahinter befanden sich Gesteinsbrocken, die etwa so groß wie Ziegenköpfe waren. Mit Schaufeln und Stemmeisen wurden sie herausgebrochen und abtransportiert. Den Hohlraum, der entstand, stützten Zimmerleute mit Balken ab.
    Schließlich wurde eine Kanone herbeigeschoben – ein Buggeschütz von einer Galeere, das man auf eine Lafette montiert hatte. Kanoniere luden und befüllten sie mit Pulver. Diese Kanone konnte eine achtundvierzig Pfund schwere Kanonenkugel abschießen. La Valette befahl für die erste Ladung genau dieses Gewicht. Die Zimmerleute legten Planken über den unebenen Boden des Tunnels, und dann begaben sich zwei Maurer mit Schmiedehämmern hinein, um die äußeren Steine des Mauerfußes auszuschlagen.
    Tannhäuser und Bors bezogen mit ihren Musketen in den Schießscharten Stellung. Sie beobachteten die Türken auf der Plattform, als einer der Scharfschützen nach unten deutete. Wie ein Mann richteten alle ihre Musketen auf das Loch, das nun in der Mauer aufbrach. Im selben Moment erhoben sich Tannhäuser und Bors, stützten ihre Gewehre auf die Mauerzinne und feuerten. Während die Türken noch versuchten, ihrer Verwirrung Herr zu werden, erhob sich entlang der Bastion der Provence ein Dutzend Hakenbüchsenschützen und feuerte.
    Tannhäuser reckte den Kopf über die Brüstung.
    Aus dem Loch in der Mauer fuhr ein Feuerstrom. Der Belagerungsturmgeriet ins Wanken. Rauch wirbelte auf. Pulvervorräte und Feuergranaten entzündeten sich mit ohrenbetäubendem Getöse. Überall taumelten brennende Menschen. Befehle wurden geschrien. Sklaven eilten herbei und lösten die Halteseile, die den Turm verankerten. Sogleich begannen die christlichen Scharfschützen, sie von ihren Schießscharten aus ins Visier zu nehmen und zu feuern.
    Kaum war der Turm fünf Schritt zurückgewichen, als das Buggeschütz wieder eine Ladung durch den Tunnel spie. Weil sie oft feindliche Schiffe vom Deck einer schwankenden Galeere aus unter Beschuß nehmen mußten, hatten die Kanoniere ihre Fertigkeiten zu einer hohen Kunst verfeinert. Ein kaum mehr als dreißig Fuß entfernter Turm war das leichteste Ziel, das sie je zu treffen hatten. Die Kanone traf den rechten Eckpfeiler genau an der Stelle, an der er vom Dach der unteren Galerie quer verstärkt wurde. Mit einem lauten Ächzen begann der riesige Turm sich zu senken. Männer sprangen von den oberen Plattformen, und zwei Gazis zogen die Schwerter und stürmten in den Tunnel, um das Buggeschütz und deren Mannschaft anzugreifen.
    Tannhäuser trat einen Schritt von der Mauer zurück, um erneut zu laden.
    Während er Pulver in den Lauf füllte, schaute er in die Festung hinunter, wo die Kanoniere ihr Geschütz ebenfalls luden. Als die beiden Gazis heranstürmten, stürzten sich die maltesischen Maurer mit ihren Hämmern auf sie und brachten sie zu Fall.
    Es sprach für die massive Bauweise des Turms, daß noch fünf weitere Kanonenschüsse nötig waren, um ihn endlich zu Fall zu bringen. Das Triumphgeheul der Verteidiger übertönte die jammervollen Schreie der letzten Unglückseligen, die noch im Inneren des Turms gefangen waren. Die überlebenden Türken flohen auf höher gelegenes Gelände. Tannhäuser musterte die Hügel rings um sie. Der Triumph der Christen würde nur von kurzer Dauer sein. Obwohl sie große Verluste erlitten hatten, lauerten die Horden des Sultans noch immer in großer Zahl auf den Anhöhen. Die Banner mit dem Roßschweif flatterten stolz im Wind. Fetzen einer Sure, die von einem Imam verkündet wurde, wehten über das Feld herüber.
    Hat Allah nicht die Erde zum Sammelplatz bestimmt für Lebende und Tote?
    Tannhäuser war dieses grauenhaften Spiels überdrüssig. Eine finstere Stimmung überkam ihn. Er legte sich das Gewehr über die Schulter und stieg die Treppe hinunter. Er sah, wie die Maurer wieder in den Tunnel gingen, um die Mauerlücke zu schließen. Die Kanoniere

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