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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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seiner Eitelkeit, daß sie es für ihn tat.
    »Glaubst du, daß es etwas mit Ludovico zu tun hat?« fragte Bors ohne eine weitere Begrüßung.
    »Ich habe gedacht, die Algerier hämmern an die Tür.«
    »Du weißt genau, was ich meine.«
    »Hat La Valette einen Pagen oder einen Feldwebel geschickt?«
    »Andreas, seinen Pagen.«
    »Dann gebe ich dir meine Antwort: Wir müssen die Sache mit größtmöglicher Frechheit durchstehen. Amparo kann bezeugen, wo wir waren. Außerdem kann niemand behaupten, einen Überblick über den Kampf gestern gehabt zu haben. Türkische Scharfschützen haben ihn beschossen, und das ist alles.«
    »Sie leben beide noch«, sagte Bors.
    Tannhäuser hielt auf der Treppe inne und wandte sich zu ihm um.
    »Ludovico und sein Bluthund, alle beide«, bekräftigte Bors. »Wir haben sie beide verfehlt.«
    »Wir haben beide verfehlt? Ich habe doch gesehen, wie sie zu Boden gingen.«
    »Du hast Ludovico zwischen die Schultern getroffen, aber er hat eine Rüstung von Negroli getragen. Er hat sich ein paar Rippen geprellt, kaum mehr.«
    Tannhäuser verfluchte den Mailänder Rüstungsmacher. »Und Anacleto?«
    »Er hat sich erschrocken umgewendet, als sein Herr zu Boden ging, und hat meine Kugel mitten ins Gesicht bekommen. Mansagte mir, er habe ein Auge verloren, aber er wird wahrscheinlich überleben.«
    Tannhäuser runzelte die Stirn. »Ich hätte ihn am Feuer niederstechen sollen.« Er hatte davor zurückgeschreckt, im Beisein von Carla einen Schwertkampf auszufechten, und verfluchte nun seine Ängstlichkeit. »Mach dir keine Sorgen«, sagte er. »La Valette weiß unsere Schwerter zu sehr zu schätzen, als daß er uns auf ein Gerücht hin aufknüpfen würde, wenn es denn überhaupt ein Gerücht gibt.«
    »Ich habe nichts gehört.«
    »Dann wird Ludovico es selbst in Umlauf bringen. Jedenfalls hat er nun mehr Grund, uns zu fürchten, als umgekehrt.« Tannhäuser ging weiter die Treppe hinunter. »Laß uns herausfinden, warum man uns sehen will.«
    Sie fanden La Valette zusammen mit Oliver Starkey an seinem Kommandoposten auf dem Hauptplatz: ein paar Stühle und ein Tisch, seine berühmten Landkarten, alles durch ein rotes Lateinsegel vor der Sonne geschützt. Von der Wallmauer erschallte das Getöse der Schlacht, das inzwischen so vertraut geworden war, daß es kaum jemanden mehr ablenkte. Zum erstenmal wirkte der Großmeister besorgt. Seine Haut schimmerte gelblich, sein Haar hing in dünnen Strähnen herab. Die Wunden, die er am Tag zuvor am Bein erlitten hatte, ließen ihn nun humpeln, und kaum daß er sich von seinem Stuhl erhoben hatte, mußte er sich wieder setzen. Tannhäuser bemühte sich, sein eigenes Hinken zu betonen, um mögliche Erwartungen La Valettes zu dämpfen. Er verneigte sich.
    »Eure Exzellenz«, sagte er.
    »Hauptmann.« La Valette neigte den Kopf. »Der Belagerungsturm, den Ihr versprochen habt, ist eingetroffen.«
    Tannhäuser verfluchte den edlen Abbas. Es war also seine höllische Belagerungsmaschine, die ihn um einen vergnüglichen Morgen im Bett gebracht hatte. Er fragte sich, was sein alter Gönner sich noch alles ausgedacht hatte.
    »Kommt«, sagte La Valette, »ich möchte Euch um Rat bitten.«Die vier bahnten sich einen Weg durch die Ruinen auf die Bastion der Provence zu. Die Mauer, die noch vor wenigen Wochen so undurchdringlich erschienen war, hatte nun mehr Lücken als die Zahnreihe eines Bettlers. Sie war von höchst unterschiedlicher Höhe, von den ursprünglichen vierzig Fuß bis hin zu Schutthalden von kaum mehr als Mannshöhe. Breschen taten sich in unregelmäßigen Abständen auf. Auf dem Wehrgang konnte man höchstens noch hundert Schritte in einem Stück zurücklegen. Die Bastion von Kastilien war kaum mehr als eine bessere Barrikade. An den Breschen zu beiden Seiten wurden zwar immer noch fieberhafte Bauarbeiten durchgeführt, doch sie luden jederzeit zu einem neuen Angriff ein.
    Die türkische Strategie am zweiten Tag des Großangriffs bestand darin, eine Welle nach der anderen von kleinen Gefechten auszulösen, die nicht auf einen Durchbruch abzuzielen schienen, sondern darauf, die Verteidiger aufzureiben. Statt auf Leben und Tod zu kämpfen, zogen sich die Gazi immer wieder geordnet und mit geringen Verlusten zurück, um dem nächsten ausgeruhten Trupp Platz zu machen. Auf der Seite der Christen schufteten an den Breschen in Lumpen gekleidete Frauen und Kinder und nackte, zu Paaren zusammengekettete Sklaven. Diese Ausbesserungsarbeiten an den

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