Das Sakrament
Befestigungen hörten nie auf, die verschiedenen Einheiten arbeiteten die ganze Nacht hindurch. Bei Tag forderten die Musketen einen enorm hohen Blutzoll. Schreie hingen unentwegt in der Luft sowie die Gebete der Kapläne, die noch immer Trost zu spenden versuchten.
»Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus, et benedictus fructus ventris tui Jesus.«
La Valette gab keinen Kommentar zu diesem Schauspiel ab. Als sie die äußere Mauertreppe zur Bastion der Provence hinaufgingen, blieb er stehen und deutete nach Westen. Jenseits der Bootsbrücke über die Werftbucht lag L’Isla verlassen und in Trümmern da.
»Del Monte spornt die Verteidiger von St. Michael zu ungeheuren Heldentaten an«, sagte La Valette.
Sie blieben am Rand der runden Bastion stehen. Die Mauer bebte unter ihren Füßen, als eine Kanonenkugel auf der anderenSeite in die Böschung einschlug. Oberhalb kauerten Hakenbüchsenschützen und Ritter hinter der Brustwehr und wagten es kaum, ihre Köpfe zu erheben. Jenseits der Brüstung dröhnten Musketensalven, so nah, daß der Rauch aus den Läufen der Gewehre über ihre Köpfe wehte. Ein Humbara -Geschoß rauschte heran, das auf dem Mauergang explodierte. Ein Malteser näherte sich vorsichtig, um einen Eimer Sand auf das Feuer zu kippen. La Valette deutete auf die Schießscharte im östlichen Teil der Bastion.
»Schaut dorthin«, sagte er. »Und Vorsicht!«
Tannhäuser kroch den Wehrgang entlang und blickte durch eine Schießscharte. Obwohl der Belagerungsturm keine Überraschung war, erfüllte ihn doch der Anblick in so großer Nähe mit Schrecken. Der Turm war höchstens zwanzig Fuß entfernt. Tannhäuser konnte die offene Plattform sehen, auf der vier Musketiere nebeneinander hinter einem Eisengitter knien konnten. Von dort aus feuerten sie auf die Festung. Hinter den ersten vier Schützen wartete eine zweite Reihe, dahinter noch eine dritte. Die vorderste Reihe hatte soeben ihre Salven abgefeuert, und Tannhäuser beobachtete, wie die Männer, je zwei zu einer Seite, zurückwichen und die hintere Leiter des Turms hinunterstiegen, um unten erneut zu laden. Nun bewegte sich die zweite Reihe nach vorn und visierte ihre Ziele in Birgu an. Er überlegte, daß sie von diesem Turm aus ein gutes Drittel der Stadt in der Reichweite ihrer Büchsen hatten, einschließlich der Arbeiter an den Breschen der Bastion von Kastilien und aller Menschen auf dem Mauergang bis hin zur Bastion von Deutschland. Er bemerkte, daß sich der Lauf einer Muskete auf ihn richtete, und zog sich rasch zurück. Einen Wimpernschlag später grub sich eine Kugel ins Mauerwerk neben ihm.
Vorsichtig kroch er auf dem Mauergang zurück zur nächsten Schießscharte und schaute noch einmal hin. Der ganze Turm war mit ungegerbten Ochsenfellen und mit Kettenpanzern gegen Kugeln gesichert. Hier und da waren die Häute versengt oder rauchten. Aus dem Inneren drangen Befehle. Neue Scharfschützen kletterten die Leitern hinauf, um die hinterste Reihe wieder aufzufüllen. Der Turm knarrte und schwankte unter den Tritten der Schützenund vom Rückstoß ihrer neun Handbreit langen Musketen, doch straff gespannte Schiffstaue an allen Enden verliehen ihm eine gewisse Stabilität. Abbas hatte sich ein geniales Werkzeug ausgedacht.
Von seinem Blickwinkel aus sah Tannhäuser, daß das vordere Tor, das die Scharfschützen gegen Angriffe schützte, zwei Geschosse weiter unten mit einem Scharnier befestigt war und an Ketten nach außen heruntergelassen werden konnte, um als Zugbrücke zu den Wällen zu fungieren. Mit etwa tausend Schuß pro Stunde, abgefeuert aus großer Nähe, hatte diese Belagerungsmaschine die Verteidiger praktisch lahmgelegt und vernichtete sie, ohne daß die Türken größere Verluste erlitten.
Tannhäuser gesellte sich wieder zu La Valette, Starkey und Bors auf der Mauertreppe.
»Großartig«, erklärte er.
La Valette nickte mürrisch. »Und sehr geschickt eingesetzt. Keine unserer Kanonen kann den Turm treffen, und wir können unter Beschuß keine neue Batterie aufbauen. Die unteren Geschosse des Turmes sind auch voller Musketiere. Als Sieur Polastron einen Ausfall aus dem Tor angeführt hat, wurden sie bereits auf der Schwelle niedergemäht. Kein einziger Mann erreichte die Zugbrücke. Wenn ich den Befehl dazu geben würde, könnten wir den Turm überfallen, aber dann würde Mustafa von den Anhöhen herunter seine Reiterei auf uns hetzen.«
»Griechisches Feuer?« fragte Bors.
»Die Felle brennen
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