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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Soldaten, deren Pferde Orlandu pflegte, brachten ihm Mandelkuchen mit, wenn er gute Arbeit geleistet hatte. Gelegentlich setzte es einen Fußtritt oder eine Ohrfeige, aber nichts war auch nur annähernd so gewalttätig wie die alltägliche Grobheit auf den Docks. Ein anderer Pferdeknecht, ein Rumelier, der älter war als er, hatte eines Tages versucht, ihm seinen Kuchen wegzunehmen. Beinahe hätte Orlandu ihn mit einem Hufeisen erschlagen. Danach hatte man ihn nicht mehr belästigt. Er hatte die anderen gelegentlich das Wort Dewschirme murmeln hören und sich gefragt, was es bedeutete. Wie Tannhäuser ihm empfohlen hatte, befleißigte Orlandu sich einer männlichen Haltung und achtete auf gutes Benehmen. Er betete mit den Moslems und imitierte ihre verschiedenen Haltungen. Allmählich fühlte er sich sogar beim Ruf des Muezzins nicht mehr unwohl. In der Nacht betete er zu Jesus und Johannes dem Täufer und flehte sie an, ihn nicht als Ungläubigen in die Verdammniszu schicken. Doch seltsamerweise fühlte er sich während der Gebete in keiner der beiden Religionen unaufrichtig.
    Orlandu fand sein neues Leben erträglich und spürte, wie er mehr und mehr in den Fußstapfen seines Meisters wandelte. Der Gedanke an die Ufer von Stambul versetzte ihn nun in beinahe freudige Erregung und nicht mehr in Angst und Schrecken. Wenn er Schmerz oder Trauer empfand, dann nur beim Anblick der Schlacht. Die anderen Pferdepfleger beobachteten genau wie Orlandu das Blutbad mit gemischten Gefühlen. Keiner von ihnen war in der Türkei geboren: Sie waren Albaner, Thraker, Bulgaren, Ungarn und Serben. Alle hegten in ihrem Innersten einen Groll gegen die Türken und hofften, daß der Ritterorden gewinnen würde, wenn es auch keiner je laut aussprach. Ein Serbe deutete auf ein Banner, auf das eine rote Hand gemalt war. Das Banner tanzte eine Sturmleiter hinauf, die man an die Mauer von St. Michael gelehnt hatte.
    »Sanjak Cheder«, sagte der junge Mann.
    Der General hatte gelobt, die Festung von St. Michael zu erobern oder dabei umzukommen. Orlandu sprach ein stummes Gebet für Admiral Del Monte. Hinter ihnen ertönte eine rauhe Stimme. Orlandu wandte sich um. Der oberste Stallknecht rief sie wieder zur Arbeit. Orlandu warf noch einen letzten Blick auf die ferne Schlacht. In ungeheurer Zahl kletterten die Türken an den Mauern hinauf.

M ONTAG , 20. A UGUST 1565
In den Stallungen des Großmeisters – In der Herberge von England
    Das spanische Mädchen war liebreizend anzuschauen. Eine ganz eigene Aura umgab sie. Sie besaß ein unberechenbares Temperament und eine Sinnlichkeit, die so ursprünglich war wie ein unerforschter Urwald. Ludovico wußte, daß der Deutsche sie für sichgewählt hatte. Vor allem dieses Wissen stachelte seine Lust an. Tannhäuser war alles, was er nicht war, das Gegenstück zu allem, was er sein wollte und wofür er stand. Ein Abtrünniger, ein Krimineller, ein Wüstling, ein Kumpan von Atheisten, Moslems und Juden, ein Mann, der stolz darauf war, sich in der Sünde zu suhlen. Trotzdem spürte Ludovico, daß sie aneinandergekettet waren, in ihrer Gegensätzlichkeit vereint, Spiegelbilder in einem dunklen Glas.
    Amparo arbeitete in dem breiten Mittelgang, der zwischen den gegenüberliegenden Boxen der Stallungen lag. In den Lichtstrahlen, die durch die hohen Fenster drangen, tanzten Staubkörner um sie herum. Sie striegelte Tannhäusers goldenen Hengst. Sie trug ein grünes Kleid, das schon ganz zerschlissen und dünn geworden war. Auf den ersten Blick schien sie nur aus Knochen und Sehnen zu bestehen, war mager wie ein Windhund. Doch wenn sie die Bürste hin und her bewegte, zeichneten sich ihre vollen Schenkel und Brüste ab.
    Ludovico stand in der Tür zu den Stallungen im Schatten und betrachtete sie lange. Die Gerüche, welche die Tiere verströmten, waren ihm weitaus lieber als der schreckliche Gestank der Schlacht, die an diesem Tag erneut um St. Michael tobte.
    Am Morgen hatten die Janitscharen den dritten Tag hintereinander angegriffen und die Festung beinahe erobern können. Ludovico, dem seine geprellten Rippen das Atmen beinahe unmöglich machten, hatte man mit einem Trupp Italiener und Aragonier über die Bootsbrücke in die Festung geschickt. Nach stundenlangem Kampf war bei einem Ausfall der Verteidiger der Sanjak gefallen. Sein Korps hatte sich daraufhin zurückgezogen. Kein einziger Verteidiger von St. Michael war an diesem Tag unverletzt geblieben.
    Nach einem solchen Kampf war nichts süßer, als

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