Das Sakrament
einem hübschen Mädchen zuzuschauen, wie es ein Pferd striegelte. Dieser Anblick wäre schon Grund genug für seine Anwesenheit gewesen, doch er verfolgte noch einen anderen Zweck. Eine runzelige sizilianische Alte, noch kleiner als ihr Stallbesen, fegte eine Ecke des Stallbodens, die bereits makellos sauber war. Beim Eintreten warf ihr Ludovico einen fragenden Blick zu, und die Alte machteeinen unterwürfigen Knicks und schüttelte den Kopf. Eine Handbewegung zur Tür, und sie war aus dem Stall gehuscht. Er ging den Mittelgang entlang. Amparo sah ihn über die Schulter auf sich zukommen, hielt in ihrer Arbeit inne und richtete sich auf. Wie schützend legte sie die Hand auf die flachsblonde Mähne des Pferdes. Sie schaute auf Ludovicos Brust, blickte ihm nicht in die Augen, wirkte aber nicht erschrocken. Ihre merkwürdig schiefen Gesichtszüge verrieten weder Mißtrauen noch Furcht. Ihm ging durch den Kopf, daß niemand sonst auf Malta noch so furchtlos aussah. Er fragte sich, welche Kraft ihr erlaubte, so heiter und gelassen zu bleiben. Ihr bloßer Anblick weckte seine Lebensgeister. Er begriff nun, warum Tannhäuser sie erwählt hatte. Er lächelte und neigte zum Gruß den Kopf.
»Ich grüße Euch, mein Kind«, sagte er auf spanisch.
Amparo machte eine Verbeugung, als wäre ihr diese Bewegung fremd, und hielt mit einer Hand immer noch das Pferd ruhig. Ludovico streckte dem Tier die flache Hand entgegen, worauf es das Salz von seinen Fingern zu lecken begann. Die Zunge war gleichzeitig rauh und weich.
»Dieser Kampf ist für die Tiere besonders furchtbar«, sagte er. »Der Lärm, das Eingesperrtsein. Sie spüren auch den Tod und das Leiden.«
Amparo beobachtete wortlos, wie das Pferd über seine Hand leckte.
»Hat das Pferd einen Namen?«
»Buraq«, antwortete sie.
»Ah«, sagte Ludovico, »das Pferd des Propheten, von dem man sagt, es hätte Flügel gehabt. Die Araber lieben solche Geschichten, aber dieses Tier sieht aus, als ob es diesen Ehrentitel verdient hätte. Es gehört Hauptmann Tannhäuser.«
Sie nickte. Immer noch schaute sie ihm nicht in die Augen.
»Und Ihr seid Tannhäusers Geliebte.«
Sie trat, nun ein wenig verlegen, von einem Bein aufs andere.
»Verzeiht meine Unhöflichkeit. Ich bin Fra Ludovico.« Er neigte zum Gruß den Kopf und bemerkte, daß seine Rüstung mitBlut verschmiert war. »Vergebt auch meinen schrecklichen Aufzug, der Euch und Buraq recht zuwider sein muß.«
Sie drehte sich um und begann wieder, den Nacken des Pferdes zu striegeln.
»Einige Soldaten haben mir erzählt, daß Ihr aus der Hand lest«, fuhr er fort. »Sie halten große Stücke auf Eure Fähigkeiten.«
Sie schenkte ihm keinen Blick, sondern striegelte weiter.
»Lest Ihr mir aus der Hand?« fragte er. »Ich bezahle Euch auch dafür.«
»Ich nehme keine Bezahlung«, erwiderte sie. »Dieses Wissen ist nicht zu verkaufen.«
»Dann ist es also etwas Heiliges.«
Sie drehte sich nicht um. »Es ist etwas, das nicht aus mir kommt, deswegen kann ich es auch nicht verkaufen.«
»Es kommt aus einer Welt jenseits der unsern?« fragte er.
»Wenn die Macht in dieser Welt spricht, wie kann sie dann jenseits davon sein?«
Solche Spitzfindigkeiten hatte er nicht erwartet. Er fuhr fort: »Ist es die Macht Gottes?«
Sie überlegte, als hätte sie daran noch nie gedacht, und antwortete: »Die Macht Gottes spricht aus allen Dingen.«
»Aus allen Dingen? Raben, Dohlen, Katzen?«
»Und aus den Steinen, den Bäumen, dem Meer und dem Himmel darüber.«
»Und der Kirche?«
Sie zuckte die Achseln, als hielte sie dies für das jämmerlichste aller Sprachrohre Gottes. »Auch aus der Kirche.«
Ludovico streckte ihr seine Hand hin. Als sei es eine Arbeit, die sie am besten schnell hinter sich brachte, klemmte sich Amparo die Bürste unter den Arm und nahm seine Hand. Sie fuhr mit den Fingerspitzen über die Linien und Schwielen. Ihre Berührung gefiel ihm. Ihr Gesicht verriet nichts.
»Manche Hände sprechen, andere nicht«, sagte sie. Sie ließ seine Hand wieder los. »Eure spricht nicht.«
Sie sprach das nicht wie eine Zurückweisung aus, sondern wieeine nackte Tatsache. Trotzdem und obwohl er eigentlich nichts von derlei Schwarzen Künsten hielt, war er enttäuscht. Er stellte auch fest, daß er sie verachtete. Das Gefühl überkam ihn ganz plötzlich, wie eine Welle der Übelkeit. Ihr Verhalten beleidigte ihn. Was hatte dieses unbedeutende junge Mädchen schon zur Verteidigung der Festung beigetragen? Oder sonst zu
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