Das Sakrament
blickten angestrengt zum Großmeister und erwarteten seinen Befehl. Sie wußten, daß sie, wenn sie die äußeren Befestigungsanlagen aufgaben, die dort überlebende Bevölkerung – zwölftausend Malteser, hauptsächlich Frauen und Kinder – im Stich lassen und sie dem Verderben preisgeben würden. Endlich erhob sich La Valette, eine Hand auf den Tisch gestützt.
»Geliebte und ehrwürdige Brüder«, hob er an, »ich habe Eurem Rat mit dem höchsten Respekt gelauscht, aber ich lehne ihn ab.«
Die Mitglieder des Rates richteten sich steif in ihren Stühlen auf.
»Gewiß, die militärischen Argumente dafür, die Stadt aufzugeben, sind übermächtig, und Ihr habt sie gut vorgebracht. Vielleicht sind sie, wie Ihr angedeutet habt, unumstößlich. Wir sind hier jedoch nicht nur zu militärischen Zielen angetreten.«
Starkey bemerkte, daß Ludovico diskret nickte.
La Valette fuhr fort: »Gott hat es so gewollt, daß wir diesen Augenblick aus einem ganz bestimmten Grunde erleben. Unser Glaube wird nun der härtesten Prüfung unterzogen, und wir müssen uns fragen: Was bedeutet unser heiliger Orden?«
Er ließ seinen Blick über den Tisch schweifen.
»Was gibt ihm seine Berechtigung? Was ist sein innerstes Wesen? Was ist sein Daseinsgrund?«
Niemand antwortete, denn sie wußten, daß der Großmeister die Antwort selbst geben würde.
»Wir sind nicht nur Soldaten, wie edel dieser Beruf auch sein mag. Wir sind die Ritter vom Hospital des heiligen Johannes des Täufers von Jerusalem. Wir sind die Hospitaler. Unsere erste Aufgabe war, die Gläubigen und Pilger auf dem Weg nach Jerusalem zu beschützen. Tuitio fidei et obsequium pauperum. Das ist die erste und letzte Regel unseres Ordens: Beschützet den Glauben und dienet den Armen. Umgekehrt stärkt und beschützt unser Dienst an den Armen auch unseren Glauben. Ihr werdet Euch alle daran erinnern, daß wir in unseren Ordensgelübden als Ritter ein heiliges Versprechen gegeben haben, immer die Diener der Armen Jesu Christi zu sein. Der Gebenedeiten, unserer Herren, der Kranken. Gehören sie nicht unserem Herrn Jesus Christus? Und müssen sie nicht so behandelt und geschützt werden, wie wir unseren Herrn Jesus Christus selbst behandeln und beschützen würden?«
La Valette sprach leise, aber mit eindringlicher Leidenschaft.
Starkey bemerkte, wie einigen der älteren Ritter Tränen über die Wangen liefen.
»Wir sind von Löwengruben umgeben«, fuhr La Valette fort. »Ist dies nun wirklich die Zeit, um unsere Herren, die Kranken, im Stich zu lassen? Um unzählige Verwundete den moslemischen Feinden auf Gedeih und Verderb auszuliefern? Um unsere armen maltesischen Waffenbrüder und ihre Frauen und Kinder den Ketten der türkischen Galeeren zu überantworten? Sollen wir unser allerheiligstes Hospital in der Stunde der höchsten Not aufgeben?«
Er schaute sich am Tisch um. Viele schämten sich, seinen Blick zu erwidern.
»Diese Festung hat nicht für mehr als tausend Menschen Raum, da habt Ihr recht, aber außerhalb ihrer Mauern sind noch viele Tausende mehr. Es kann schon Gottes Wille sein, daß unser heiliger Orden unter diesen Ruinen begraben wird, daß unser Orden nicht mehr weiterbesteht. Das selbst ist nichts, was wir fürchten müssen, denn Gott und seine Engel und Heiligen erwarten uns. Aber wenn wir unsere Kranken und unsere Armen verlassen, daß sie ohne uns sterben, dann sind wir bereits der Verdammnis anheimgefallen – und alles für nichts. Denn ohne unsere Armen und unsere Kranken sind wir nichts. Ist der Orden nichts. Und selbst wenn er dann weiterbesteht, wäre seine Ehre bis zum Ende aller Zeiten in den Augen Gottes sowie auch der Menschen befleckt.«
La Valette setzte sich wieder.
Es bestand kein Zweifel, daß er alle überzeugt hatte, aber es folgte ein langes, qualvolles Schweigen, weil dem Rat ein Sprecher fehlte.
Schließlich erhob sich Admiral Del Monte. Hatte Ludovico ihn dazu gedrängt? Der Aufstieg Ludovicos im Orden hatte Starkey verwundert, nicht zuletzt weil das Verhalten des Mannes stets untadelig bescheiden geblieben war, genau wie seine Tapferkeit im Feld. Daß niemand etwas gegen seine Anwesenheit einzuwenden hatte, war noch viel verwunderlicher.
»Wie immer«, meinte Del Monte, »zeigt uns Seine Exzellenz, wo unsere Pflicht liegt. Wenn wir einem Irrtum erliegen, bitten wir ihn um Vergebung und beten darum, daß er nicht vergißt, daß wir seine Kinder sind. Wir werden Birgu und die Menschen von Malta verteidigen, und zwar bis zum
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