Das Sakrament
Wenn Ludovico, wie es nun den Anschein hatte, für Del Monte intrigiert hatte, dann war er, Starkey, darüber völlig im unklaren geblieben, was ihn überaus bestürzte. Daß Ludovico einen Kandidaten ausgewählt hatte, der nicht nur hervorragend war, sondern auch seine Herren in Rom erfreuen würde, war ein weiterer Beweis für sein Genie.
»Fra Ludovico, und was ist die zweite, weniger heikle Angelegenheit?« erkundigte sich La Valette.
Ludovico brachte einen massiven Lederkoffer zum Vorschein, der neben seinem Stuhl gestanden hatte. Er öffnete ihn und zog ein silbernes Reliquiar heraus, das mit Edelsteinen geschmückt war. Er trug es den ganzen Tisch entlang und stellte es vor La Valette hin.
»Ich hoffe, daß ich das Vertrauen unseres Heiligen Vaters in Rom nicht mißbrauche. Er sagte mir, ich sollte dieses heilige Reliquar erst in der Stunde der höchsten Not hervorholen.«
La Valette machte eine Handbewegung, und Starkey öffnete den kleinen Schrein. Er schnappte nach Luft. Der Schrein war mit scharlachrotem Samt ausgeschlagen. Darin ruhte, mit goldenen Schnüren befestigt, der Dorn eines Schwertes mit zwei Fingerbreit abgebrochener Klinge. Dorn und Klinge waren verrostet und vermutlich etliche Jahrhunderte alt. Ein einziges Bruchstück von dem, was vermutlich der hölzerne Griff gewesen war, von einer Niete gehalten. Der Stil des Schwertes glich dem einer römischen Waffe aus alter Zeit. Starkey wagte es nicht, über die Herkunft der Waffe Vermutungen anzustellen. Er schaute zu Ludovico.
Der Inquisitor nickte. »Die Existenz dieses Stückes ist ein großes Geheimnis«, sagte er. Dabei schaute er La Valette an. »Dies ist das Schwert, das Petrus gezückt hat, als er, um unseren Herrn zu beschützen, dem römischen Soldaten im Garten von Gethsemane ein Ohr abhieb.«
La Valette schob den Stuhl zurück, sank auf ein Knie und bekreuzigte sich. Die anderen Mitglieder des Rates taten es ihm nach. Dann erhob sich der Großmeister und neigte sich über den Schrein. Er trat einen Schritt zurück, als die anderen Ritter ehrfürchtig vorbeizogen. Alle hatten Tränen in den Augen und ein Gebet auf denLippen. Starkey bemerkte, wie La Valette Fra Ludovico musterte. Seine Miene war genauso undurchdringlich wie die des Italieners.
»Wieder einmal hat Seine Heiligkeit uns seine Weisheit bewiesen«, sagte La Valette. »Und Ihr habt Euch als sein vollkommener Diener bewährt.«
Ludovico neigte das Haupt und sagte nichts.
»Die Reliquie soll in San Lorenzo neben der Hand des heiligen Johannes des Täufers liegen«, verkündete La Valette.
»Bei allem Respekt, Eure Exzellenz«, warf Claramont ein, »aber sollten wir nicht überlegen, zumindest unsere Reliquien in St. Angelo in Sicherheit zu bringen?«
La Valette schüttelte den Kopf. »Wenn wir das täten, würden wir unseren Soldaten signalisieren, daß wir eine Niederlage erwarten. Trotz allem, was gesagt wurde, werde ich keine Niederlage dulden. Mit Gottes Hilfe werden wir die Türken ins Meer zurücktreiben. Die Hand des heiligen Johannes des Täufers, das Schwert des heiligen Petrus, die Ikone Unserer Lieben Frau von Philermo, das sind die Wurzeln unserer Macht und Stärke. Sie werden an ihrem rechtmäßigen Platz verbleiben, bis niemand mehr übrig ist, um sie zu verteidigen.«
Der Großmeister hatte sich die Aufmerksamkeit der ganzen Versammlung gesichert.
»Und um zu der Angelegenheit zurückzukehren, die uns hierhergebracht hat, habe ich noch einen letzten Befehl. Morgen wird die Festung St. Angelo evakuiert, bis auf die Mannschaften, die benötigt werden, um die Batterien auf dem Dach zu versorgen und zu bemannen. Dann wird die Brücke nach Birgu gesprengt.«
Verblüfftes Schweigen war die Antwort auf diese Anordnung. Selbst Ludovico zog eine schwarze Augenbraue in die Höhe.
»Es wird keinen Rückzug geben«, fuhr La Valette fort. »Jedermann – auch der Großtürke – soll verstehen, daß wir kämpfen und sterben werden, wo wir jetzt stehen.«
F REITAG , 31. A UGUST 1565
In Birgu – Auf dem Monte San Salvatore
Der letzte größere Angriff am 23. August hatte Tannhäuser zwei neue Schnittwunden in der linken Wange eingebracht, dazu einen weiteren gebrochenen Finger, ein paar geprellte Rippen, verschiedene klaffende Wunden am Oberschenkel, die er selbst verarztet hatte, sowie einen verrenkten Knöchel. Er war auch zweimal von einem Schlag ohnmächtig geworden. Bei alldem schätzte er sich glücklich, daß er glimpflich davongekommen war, denn der
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