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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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anderen Dokumenten vor ihm lag. »Zweihundertzwanzig unserer Brüder können noch Waffen tragen. An spanischen Truppen, fahrenden Rittern und maltesischen Freischärlern haben wir vielleicht noch neunhundert. Alle sind verletzt, manche schwer. Wir haben beinahe dreitausend Verwundete, die keinen Dienst an den Festungsmauern mehr tun können.«
    »Und die Toten?«
    »Zweihundertsiebzehn Ordensritter. Bei den spanischen und maltesischen Truppen sind über sechstausend umgekommen. Bei den Sklaven über zweitausend. Bei den nicht am Kampf beteiligten Maltesern ungefähr siebzehnhundert.«
    »So wie ich das Heer der Ungläubigen einschätze«, meinte Claramont, »können sie immer noch fünfzehntausend gut ausgebildete Männer ins Feld schicken.«
    Starkey bezweifelte diese Zahl nicht. Nach vierundneunzig Tagen Kampf, in denen die Türken in größerer Zahl umgekommen waren, als es je ein General in seinen kühnsten Träumen für möglich gehalten hätte, war doch die Heeresmacht des Feindes immer noch überwältigend.
    »Und was für Neuigkeiten gibt es aus Sizilien und von Garcia de Toledo?« wollte Claramont wissen.
    »Keine«, antwortete Starkey. »In seiner letzten Botschaft hat er zehntausend Mann bis zum Ende dieses Monats versprochen.«
    »Ja. Die hat er auch im Juni versprochen und im Juli«, entgegnete Claramont unter wütendem Gemurmel der anderen Ritter.
    Starkey versuchte ihren Pessimismus ein wenig zu mildern. »Die türkischen Belagerungskanonen bersten inzwischen bereits durch übermäßigen Gebrauch, und ihre Pulvervorräte gehen allmählich zur Neige. Hauptmann Tannhäuser berichtet, daß die Moral der Truppe langsam sinkt. Ihre Imame singen andere, eher klagende Verse. Sie beginnen zu glauben, daß es nicht Allahs Wille ist, daß sie Malta erobern.«
    »Allahs Wille soll verdammt sein«, grummelte Claramont. »Wir sind nur noch ein Geisterheer. Unsere Mauern sind kaum mehr als traurige Steinhaufen. Der Boden unter unseren Füßen ist völlig von türkischen Stollen untergraben. Keine Frage, an Mut fehlt es uns nicht. Jeder von uns würde lieber sterben, als sich unter das türkische Joch zu beugen. Wenn der Feind diese Insel erobern sollte, dann muß er einen Friedhof übernehmen. Die Frage ist, welchen Preis wir ihm dafür aufzwingen können. Wieviel länger können wir Birgu und St. Michael mit tausend Mann noch halten? Können wir einen weiteren Großangriff überleben? Noch zwei? Noch fünf? Noch eine Woche wie die letzte? Und bezweifelt irgend jemand, daß es schon bald derlei Attacken geben wird?«
    Starkey antwortete nicht, sondern schaute zum Großmeister.
    La Valette saß schweigend da. Sein hageres Gesicht war ausdruckslos, die grauen Augen richteten sich auf einen Punkt in unendlicher Ferne, als beriete er sich mit Mächten, die nur er kannte.
    Claramont fuhr in seinen Erläuterungen fort. »Diese Festung, in der wir sitzen, das Kastell St. Angelo, ist kaum angeschlagen. Sie ist zur Landseite hin durch einen breiten Kanal geschützt und an allen anderen Seiten vom Meer umgeben. Die Lagerhäuser sind noch halb gefüllt mit Getreide und Dörrfleisch. Wir können vierzigtausend Fässer mit Süßwasser füllen. Wir haben ausreichend Pulverund Kanonenkugeln. Wir könnten unsere heiligen Reliquien hierherbringen – die Hand des heiligen Johannes des Täufers, Unsere Liebe Frau von Philermo, die Madonna von Damaskus – und ebenso unsere Archive und Standarten. Hier sind sie sicher vor der Entweihung durch die Moslems. Wenn wir uns entlang aller Festungsmauern aufreihen wie die Krähen, dann werden wir vernichtet, einer nach dem anderen oder alle mit einem Schlag. Aber wenn wir alle kämpfenden Männer in die Festung St. Angelo zurückziehen und die Brücke nach Birgu sprengen, dann können tausend von uns, die sich hier verschanzen, die Türken den ganzen Winter über in Schach halten. Hat jemand dagegen etwas vorzubringen?«
    Admiral Del Monte wechselte einige Blicke mit Ludovico, der neben ihm saß, aber keiner von beiden sprach ein Wort. Starkey schaute zu La Valette. Der Großmeister zuckte mit keiner Wimper.
    Claramont sagte: »Daher verlangt der militärische Verstand nur eine einzige Schlußfolgerung.« Er zögerte. »Wir müssen Birgu aufgeben. Und St. Michael und L’Isla auch. Darin kann ich für den Obersten Rat sprechen, darin sind wir uns alle einig.«
    Claramont setzte sich wieder. Es herrschte Schweigen. Keiner der Anwesenden in diesem Obersten Rat wandte etwas dagegen ein. Alle

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