Das Sakrament
Carla, neben ihm zu stehen, wenn er die Verletzten im großen Krankensaal um ihre Hilfe anging, da er sicher war, daß ihre Gegenwart sie mehr ermutigen würde als alle Worte. Die Bereitwilligkeit, mit der die Kranken sich von ihren Betten zu erheben versuchten, rührte sie beide zu Tränen. Als sie denen, die dicht an dicht auf der Piazza und in allen Nebenstraßen lagen, die Bitte La Valettes wiederholten, war die Reaktion genauso tapfer.
Carla und Amparo gehörten zu der Mannschaft, die man Helme holen geschickt hatte. Sie liefen hinter das Arsenal und standen plötzlich vor einem Berg von abgelegten Helmen. Es waren Tausende, an der Mauer aufgetürmt, ein unheiliges Denkmal für die Gefallenen. Viele waren verbeult und mit Blut besudelt. Das Hospital hatte Carla gegen einen ständigen Strom von verwundeten Menschen abgehärtet, aber nicht gegen einen Verlust an Menschenleben von diesem Ausmaß. Jenseits dieses Berges von Helmen türmten sich ähnlich hohe Stapel von Piken und Kurzschwertern auf. Zwei Mönche zogen einen zweirädrigen Handwagen herbei und halfen ihnen, ihn zu beladen. Die beiden Geistlichen kehrten eilig zur Piazza zurück. Als sich ihnen Amparo stumm und niedergeschlagen anschließen wollte, hielt Carla sie am Arm zurück.
»Mattias hat vor, die Insel zu verlassen – heute nacht.«
Amparo schaute Carla an. »Wie will er das bewerkstelligen?«
»Er hat an der Küste ein Boot versteckt und wird uns durch die türkischen Linien führen. Bist du einverstanden, mit uns nach Italien und dann zurück nach Hause zu kommen?«
»Mit Tannhäuser? Und mit dir? Gewiß.« Amparo begann zu lächeln, runzelte dann die Stirn. »Aber was wird aus Buraq?«
»Das mußt du Mattias fragen.«
»Buraq kann nicht mitkommen?«
Carla brachte es nicht über sich, den Kopf zu schütteln. »Darauf kann nur Mattias eine Antwort geben.«
Amparo wandte sich um und eilte auf die Stallungen zu. Carla hätte ihr beinahe hinterhergerufen, besann sich dann aber, daß es sicherer wäre, sie in den Ställen zu wissen, als sie über dasSchlachtfeld zu schleifen. Hastig kehrte sie ins Hospital zurück, um La Valettes Brigade der Lahmen und Kranken auszurüsten.
Trotz ihres Eifers hätten die meisten Verletzten die Front nur erreicht, wenn man sie auf Bahren getragen und auf dem Rücken in die Bresche gelegt hätte. Andere konnten sich nicht erheben, weil ihre Lungen vom Pulverdampf in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Verletzte mit schweren Verbrennungen konnten sich überhaupt nicht bewegen. Gleichwohl erklärte man dreihundert Freiwillige für tauglich genug, um diesen Marsch zu überstehen. Sie stützten einander und hielten sich an den Mönchen und Chirurgen fest, die sie begleiteten. All das taten sie ohne großes Aufhebens, mit dem Gleichmut von Bauern und gemeinen Soldaten. Mit ihren verbeulten Helmen und ihren scharlachroten Überwürfen mit dem Malteserkreuz sahen sie aus wie eine zerlumpte Schar verirrter Kreuzfahrer, die aus den Grüften jenseits des Meeres wieder auferstanden waren. Ein junger Malteser, dem seine Verbrennungen das Augenlicht geraubt hatten, packte Carla beim Arm. Er fuhr erschrocken zurück und entschuldigte sich, als er bemerkte, daß sie eine Frau war. Er erinnerte sie an ihren ersten Patienten im Hospital, Angelu, den Mann ohne Gesicht und ohne Hände. Sie nahm den Arm des Jungen und hakte ihn unter.
Das Bataillon der Versehrten brach von der Piazza auf. Lazaro führte die Männer auf das Dröhnen der Kanonen zu. Er begann mit seiner hohen, klaren, bebenden Stimme einen Psalm Davids zu singen, einen Gregorianischen Gesang, der sich tief in die Herzen aller grub. Ein anderer Mönch fiel ein, begleitete Lazaros Cantus eine Oktave tiefer, dann gesellten sich andere dazu, dann wieder andere, und es war, als hätten die Cherubim ihre Herzen erhoben und trügen sie nun in die letzte Schlacht.
Ringsum verfiel, während sie marschierten, die Stadt zusehends. Hier und da stürzte krachend eine Wand ein, wenn die Kanonenkugel aus einer türkischen Feldschlange sie getroffen hatte. Carla sah Gruppen alter Frauen auf die Knie sinken. Sie weinten und klagten und drückten Kruzifixe und Ikonen der Heiligen an ihre faltigen Lippen, als der Zug vorbeikam. Gelegentlich stolpertenund fielen Verletzte, deren Wunden ihren Tribut verlangten, manchmal rafften sie sich wieder auf, manchmal nicht. Doch die Mönche aus dem Hospital hielten in ihrem Marsch und in ihrem Gesang nicht inne.
Sie erreichten ein Stück
Weitere Kostenlose Bücher