Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
Vom Netzwerk:
verwirrt auf die Wanne und begriff seinen Scherz nicht. Ihr traten Tränen in die Augen. Sie sagte: »Ihr lebt.«
    »Ich habe noch zu viele Verpflichtungen, als daß ich schon sterben könnte.«
    Tränen rollten ihr über die Wangen, und sie warf ihm die Arme um den Hals. Stechender Schmerz schoß ihm durch das Knie, und er mußte sich am Rand der Wanne festhalten, um nicht zusammenzubrechen. Er biß die Zähne zusammen und stand auf, ihren Körper noch immer an seiner Schulter. Er strich ihr tröstend über den Rücken. Es war so wunderbar, sie zu berühren, daß er beinahe auch eine Träne vergossen hätte.
    »Na«, beschwichtigte er sie, selbst ein wenig ratlos. »Wir sind alle völlig benommen von diesem Tag.«
    Carla schluchzte noch einmal, und er wartete. Er deutete mit dem Kopf auf Bors, der sich in einen diskreten Abstand zurückgezogen hatte. Carla faßte sich wieder und verschmierte die Tränen auf ihren schmutzigen Wangen. Tannhäuser zog das rote Seidentuch aus den Backenstücken seines Morions. Er wischte ihr das Gesicht ab, ohne daß sie protestierte.
    »Ich sehe, Ihr habt meinen Rat nicht befolgt«, sagte er. »Wie ich es inzwischen nicht mehr anders erwarte. Habt Ihr die Verwundeten auf die Wälle begleitet?«
    Sie nickte. »Die meisten sind tot.«
    »Dann stehen wir in ihrer Schuld und haben um so mehr Grund, uns nicht zu grämen. Wo ist Amparo?«
    »Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie auf dem Weg zum Stall, zu Buraq.«
    »Muß ich Euch mit Ketten aneinanderfesseln?«
    Carla brachte ein kleines Lächeln zustande.
    »Ich finde sie schon«, sagte er. »Inzwischen bringt Bors Euch in die Herberge zurück. Wir haben eine lange Wanderung vor uns, und Ihr müßt erst wieder zu Kräften kommen.«
    »Wir gehen wirklich heute nacht?«
    Übermütig sagte er: »Tragt auf der Reise Euer rotes Kleid.«
    Carla schaute ihn an, als hätte er sie gebeten, nackt loszureiten. Um seine exzentrische Aufforderung ein wenig zu mildern, fügte er noch hinzu: »Und einen Umhang gegen die Kälte der Nacht und feste Schuhe, wenn Ihr welche habt.« Er nahm sie bei der Hand und führte sie in Richtung auf die Stadt. »Ich bin vielleicht nicht der Verheißungen Christi würdig, aber das Versprechen, das ich Euch und Eurem Sohn gegeben habe, gedenke ich einzuhalten.«

S ONNTAG , 2. S EPTEMBER 1565
Am Kalkara-Tor – In der Guva
    Der östliche Abschnitt der Mauer oberhalb der Kalkara-Bucht war der am wenigsten beschädigte Teil der gesamten Verteidigungsanlage. Die Garnison war indes so sehr dezimiert worden, daß ihr Weg in die Freiheit beinahe unbewacht vor ihnen lag. Das Blockhaus war leer, keine einzige Wache tat Dienst. Indem sie sich zum Wachdienst auf der Bastion von England oberhalb des Tores meldeten und diesen Posten dann verließen, hatten sie sich den Weg in die Berge frei gemacht. Mitternacht war vorüber, und nach zwei Stunden Schlaf waren die Frauen wieder besser bei Kräften. Tannhäuser hatte die Möglichkeit gehabt, La Valette mitzuteilen, was der Feind seiner Meinung nach nun tun würde. So konnte er sichergehen, daß er nicht vor Einbruch des Tages wieder vor den Großmeister gerufen wurde. Bors schlich sich in die Kammer, in der sich die Winde befand, und zog das eiserne Fallgitter hoch.
    Der schwierigste Teil ihrer Unternehmung war gewesen, Amparo davon zu überzeugen, Buraq zurückzulassen. Tannhäuser hatte ihr versichert, daß kein lebendiges Tier sicherer sein konnte. Seine prächtige Erscheinung und sein Mongolenblut würden dafür sorgen, daß kein Mensch, der noch einen Funken Verstand hatte, dieses Pferd verletzen würde, am allerwenigsten die Türken, denen er weit mehr wert wäre als irgendein Mensch, ob Christ oder Moslem. Tannhäuser hatte zudem der sizilianischen Alten, die sich ständig bei den Ställen aufhielt, eine gute Summe bezahlt, um Buraqs Wohlergehen zu sichern. Nach einem kurzen, tränenreichen Abschied hatte er Amparo schließlich losreißen und zur Herberge zurückbringen können. Sie zeigte nur geringes Interesse an seinem eigenen, sehr mitgenommenen Zustand.
    Nun gingen sie am Torhaus unter dem Fallgatter hindurch. Bors ließ es hinter ihnen wieder herunter. Tannhäuser hielt es mit seinem Gewehr so lange noch ein Stück auf, bis auch Bors sich darunter hinweggeduckt hatte. Als er das Gewehr wegzog, hörteman die Zahnräder rollen und die Gegengewichte surren, bis die spitzen Enden des Gatters auf die Steine aufschlugen. Das Geräusch erschien ihnen sehr laut, aber es

Weitere Kostenlose Bücher