Das Sakrament
war der Kampfeswille der arg dezimierten Garnison so ungebrochen wie eh und je während der Belagerung.
Tannhäuser hatte die Eucharistie nicht miterlebt, weil er einer weitaus primitiveren Form der Anbetung gefrönt hatte. Als er jedoch, Seite an Seite mit Amparo, nach Carla suchte, hatte er einen Teil der großartigen Prozession gesehen, die vorüberzog, und sich gewundert, was für eine ungeheure Wirkung ein solches Spektakel haben konnte. Diese Reliquienparade war gut und gerne soviel wert wie tausend zusätzliche Männer. Selbst Tannhäuser spürte, wie ihm das Blut aufwallte, und er fragte sich, ob der Weg Christi nicht vielleicht doch der rechte Weg in alles Überirdische sein mochte.
Als er Carla auf dem Platz vor dem Hospital traf, sah sie auch beinahe wie eine Heilige aus. Sie führte einen Kelch mit Wein an die Lippen eines Mannes, dessen Arme verstümmelt und mit blutverschmierten Leinentüchern verbunden waren. Sie war hager und wirkte abgekämpft, ihr Haar hing in schmutzigen Strähnen, und ihr hochgeschlossenes schwarzes Kleid war zerlumpt, doch als sie sich zu ihm umwandte und lächelte, hätte er schwören können, daß sie niemals lieblicher ausgesehen hatte. Tannhäuser wurde klar, daß er sehr schlechte Manieren an den Taglegte, wie er da mit seiner Geliebten am Arm bei ihr auftauchte, aber Carla nahm es mit großer Gelassenheit auf. Er ließ Amparo los und verneigte sich höflich.
Ehe er den Mund aufmachen konnte, sagte Carla: »Ich schätze, Ihr habt gut geschlafen.«
Tannhäuser empfand diese Bemerkung als recht unfreundlich. Er suchte sein Heil in einer raschen Antwort. »Da Ihr so interessiert fragt, muß ich Euch berichten, daß ich mir den besten Teil der Nacht hinter den feindlichen Linien um die Ohren geschlagen habe, um unsere gemeinsamen Pläne zu verfolgen.«
»Unseren sehnlichsten Wunsch?«
»Genau diesen Wunsch.«
Carla ließ den Blick über die vielen Reihen von Verwundeten schweifen, und Tannhäuser bemerkte, wie sie erneut von Zweifeln beschlichen wurde.
»Von zehn Männern, die zur Verteidigung dieser Stadt zu den Waffen gegriffen haben, sind neun tot oder doch dem Tode nah«, antwortete Tannhäuser. »Ihr habt ihnen mit mehr Herzensgüte gedient, als irgend jemand oder gar Gott verlangen kann. Wenn wir den heutigen Tag überleben, dann haben wir eine Chance, auch Orlandu zu helfen. Und uns selbst.«
Carla schaute ihn an. Er nickte. Sie lächelte. Er forderte Amparo mit einer Geste auf, sich zur ihr zu gesellen.
»Bleibt hier und bleibt zusammen«, riet er ihnen. »Wandert nicht umher! Ich komme nach Einbruch der Dunkelheit wieder. Macht Euch bereit!«
Tannhäuser erfuhr, daß es außer seiner Erkundung noch andere nächtliche Aktionen gegeben hatte. Kurz vor Morgengrauen hatte Andreas de Monatones, der Sänger, Tänzer und asturische Ritter aus Santiago, einen Ausfall durch die christlichen Stollen angeführt. Nach einem erbitterten Kampf im Schein von Fackeln hatten sie die Mamelucken und Sappeure der Laghimiji besiegt, und zwei der mit Holz ausgekleideten Tunnel der Türken, die sich unter dem Niemandsland dahinzogen, waren angesteckt worden undin Flammen aufgegangen. Die maltesischen Sappeure hatten Andreas aus dem zweiten Stollen zurückgetragen, nachdem er eine Pike in die Brust bekommen hatte. Sie schleppten ihn in die Kirche San Lorenzo, wo er während der ersten Morgenmesse starb.
Trotz dieser Ausfälle hatten sie nicht alle Stollen der Türken gefunden, die bis zum Rand mit Pulver gefüllt waren. Als Vorspiel zum Großangriff explodierten drei dieser Minen und richteten ungeheure Zerstörungen an.
Tannhäuser und Bors, die beschlossen hatten, sich den Nordleuten anzuschließen, sahen, wie die Minen in die Luft gingen, als sie die Bastion von Deutschland am äußersten linken Ende der christlichen Verteidigungswälle erreichten. Zwischen den Bastionen von Italien und der Provence stürzte ein dreißig Fuß langer Abschnitt der Außenmauer in sich zusammen. Dutzende von Verteidigern wurden unter den Steinen begraben. Auf dem Gipfel von Santa Margherita wurde der Sanjak i Sheri f gehißt. Ein Trommelfeuer der türkischen Belagerungsgeschütze erhellte den Bergrand. Als die Rauchwolken zu Tal zogen und der Dschihad wieder aufgenommen wurde, stürmten Tausende von Gazis über die große Ebene, um das Urteil Allahs zu vollstrecken.
Allahu Akbar!
Der Staub, den die Füße der Gazis aufwirbelten, war keine Erde, sondern das eingetrocknete Blut ihrer toten
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